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Werner, Micha H. (2006):

"Dezisionismus"

Der Text wurde ursprünglich 1997 verfasst. Eine überarbeitete Fassung ist erschienen in: Wils, Jean-Pierre / Hübenthal, Christoph (Hg.): Lexikon der Ethik. Paderborn: F. Schöningh, S. 52-59. Eine niederländische Fassung ist in Vorbereitung. 



1 Begriff

Der Terminus "D." ist von "Dezision" abgeleitet. Dezision (von lat. decidere - abschneiden) bedeutet soviel wie Entscheidung. Dementsprechend verwendet C. Schmitt, der den Begriff etabliert hat, "D." synonym mit "Entscheidungsdenken". "Entscheidungsdenken" fungiert hier jedoch nicht als Oberbegriff für das methodische Nachdenken über Entscheidungsprozesse (wie z. B. die ­Entscheidungstheorie). In einem allgemeinen Verständnis bezeichnet "D." vielmehr die Auffassung, daß die Entscheidung für eine präskriptive Norm oder eine Handlungsweise (entweder prinzipiell oder unter bestimmten Randbedingungen) ein hinreichender Grund für die Legitimität dieser Norm oder Handlungsweise sein könne, während die betreffende Entscheidung selbst nicht mehr sinnvoll in Hinblick auf ihr vorausliegende Gründe zu kritisieren sei.

Der Klarheit halber empfiehlt es sich, wenigstens drei Kontexte zu unterscheiden, in denen dem D.-Begriff eine spezifischere Bedeutung zukommt, nämlich den rechtstheoretischen (a), den sozialwissenschaftlichen (b) und den moralphilosophischen Kontext (c).

ad a): Im rechtstheoretischen Kontext bezeichnet D. eine Theorie der Geltung (v.a. verfassungs-)rechtlicher Normen, die in diametralem Gegensatz zum Naturrechtsdenken (­ Naturrecht), sowie in bedingtem Gegensatz zum normativistischen Rechtspositivismus steht. Während der Rechtspositivismus z. B. eines H. Kelsen (vgl. Kelsen 1960), dem Interesse an Rechtssicherheit entsprechend, ganz an der Idee der normativen Geschlossenheit des Rechtssystems orientiert ist und das Problem der Normsetzung in Gestalt der "Ursprungshypothese" ganz an den Außenrand der Rechtslehre verdrängt, stellt der D. eben dieses Problem ins Zentrum der Rechtstheorie und zeigt sich dabei gerade nicht an Rechtssicherheit und der strikten Regelhaftigkeit universeller Gesetzesnormen, sondern vielmehr am "Ausnahmezustand" und an der Eigenart singulär intervenierender "Maßnahmen" interessiert. In einem ersten Schritt macht der D. gegen den normativistischen Positivismus geltend, daß juristische Entscheidungen niemals vollständig durch die Logik des gegebenen rechtlichen Regelwerks vorgezeichnet seien, so daß ihnen ein irreduzibles Moment rechtsetzender Funktion zukomme. Soweit geht der D. konform mit einer naturrechtlich orientierten Positivismuskritik (vgl. z. B. R. Dworkins Kritik des Hartschen Regelmodells des Rechts, Dworkin 1977). Erst in einem zweiten Schritt gerät der D. in einen schroffen Gegensatz zu natur- bzw. vernunftrechtlichen Konzeptionen. Während letztere die Auffassung implizieren, daß die durch positive Normen nicht vollständig determinierte Rechtsentscheidung sich als interpretierende Fortentwicklung des Rechtssystems auch an überpositiven Normen bzw. Prinzipien orientieren könne und müsse, behaupten die Vertreter des D., Entscheidungen seien "normativ gesehen" schlechthin "aus dem Nichts geboren" (Schmitt 1990/1922: 31). Die Auffassung, daß Entscheidungen, die selbst nicht mehr normierbar seien, gleichwohl normsetzende Kraft zukommen könne, erhält besondere Bedeutung im Verfassungsrecht, da ja dessen Normen nicht mehr durch Subsumption unter vorausgesetzte positive Normen generiert werden können. Nach dezisionistischer Auffassung bemißt sich die Gültigkeit der Verfassungsnormen letztlich allein nach dem Durchsetzungsvermögen des verfassunggebenden politischen Souveräns. In diesem Sinne bezeichnet Schmitt Th. Hobbes' Dictum Auctoritas, non veritas facit legem als "klassische Formel" des D. (vgl. Schmitt 1990/1922: 32).

ad b): In der Soziologie und Politologie ist die Rede vom "dezisionistischen Modell" geläufig, das meist als Gegenbegriff zum "technokratischen Modell" verwandt wird. Das dezisionistische Politikmodell, das stärker an M. Weber denn an C. Schmitt orientiert ist, sieht eine strikte Rollentrennung zwischen wissenschaftlichen Experten und Politikern vor: Während die politischen Entscheidungsträger programmatische Zielvorgaben formulieren, die einer wissenschaftlichen Begründung oder Kritik prinzipiell nicht zugänglich sind, stellen Experten ausschließlich technisch-instrumentell nutzbares Sachwissen zur Verfügung, das die erfolgreiche und kosteneffiziente Durchsetzung dieser Ziele ermöglichen soll (vgl. Fuchs u. a. 1978: 515; Habermas 1968/1964: 121 f.).

ad c): In der Moralphilosophie wird der D. zumeist, wie der Emotivismus, als eine spezifische Form des (meta-)ethischen Nonkognitivismus (­Kognitivismus/Nonkognitivismus) verstanden (vgl. z. B. Habermas 1973: 139 ff.). Unberechtigt ist die mitunter vorgenommene Gleichsetzung von D. und Nonkognitivismus (z. B. in Meyers Lexikon). Es ist nicht leicht, den Begriff des moralphilosophischen D. vom Begriff des ­Voluntarismus abzugrenzen. Als metaethische These besagt der D., daß jeder Versuch der Moralbegründung in letzter Hinsicht auf ihrerseits nicht weiter begründbare Entscheidungen rekurrieren müsse. Als normativ-ethische These besagt der moralphilosophische D., daß gültige moralische Normen (generell oder unter bestimmten Bedingungen) ihren Ursprung in einer Entscheidung haben könnten und müßten. Die Möglichkeit, den moralphilosophischen D. als eine normativ-ethische Konzeption zu verstehen, wird jedoch dadurch in Frage gestellt, daß der Begriff der Gültigkeit seinen spezifischen, nämlich kontrafaktischen Sinn zu verlieren droht, wenn Gültigkeit vollständig von der Faktizität 'bloßer', nicht mehr durch Gründe kritisierbarer Entscheidungen abhängig gemacht wird. Es ist dann nämlich - ebenso wie bei anderen nonkognitivistischen Theorien - schwer zu sehen, wie sich der Unterschied zwischen normativer Gültigkeit und faktischer Geltung noch aufrecht erhalten läßt. Insofern scheint sich der D. gar nicht widerspruchsfrei als normativ-ethische Konzeption vertreten zu lassen.

2 Geschichte / Theorien

Die Geschichte des D. ist verhältnismäßig gut erschlossen (vgl. u.a. Bielefeldt 1994; Giesenberg 1996; Hoffmann 1971; Krockow 1958; Löwith 1960/1935; Rottleuthner 1983). Der rechts- und politikwissenschaftliche D. war vor allem im Deutschland der 20er und 30er Jahre einflußreich und gehört nach verbreiteter Einschätzung zu denjenigen geistigen Strömungen, die dem Nationalsozialismus ideologisch den Weg bereiteten. Vor diesem Hintergrund wurden schon früh geistes- und sozialgeschichtliche Versuche angestellt, den D. als spezifisch deutsche Ideologie sozialgeschichtlich zu erklären oder kulturgeschichtlich verständlich zu machen (Böhler 1988; Dahrendorf 1965; Elias 1989; Lukács 1955; Plessner 1974/1959). Auch in der Philosophie (z. B. Heideggers Existenzphilosophie mit dem Zentralbegriff der 'Entschlossenheit', vgl. Heidegger 1986/1927; oder Spengler 1933) und der protestantischen Theologie (v.a. der von Kierkegaard beeinflußten Dialektischen Theologie, vgl. Barth 1922) hatten dezisionistische Denkmuster während der 20er und 30er Jahre Konjunktur.

Der rechts- und der moralphilosophische D. ist freilich älter als der Begriff. Geistesgeschichtlich handelt es sich beim Dezisionismus um eine Säkularisierung des nominalistischen Voluntarismus des Spätmittelalters, dem zufolge die Gültigkeit moralischer Gebote allein auf Gottes freie Gesetzgebung zurückzuführen ist: Alles Außergöttliche ist nur darum gut, weil Gott es so will, aber nicht umgekehrt billigt es Gott, weil es gut ist (Duns Scotus 1506: IV d. 19 qu. 1. n. 7: "Omne aliud a Deo ideo est bonum, quia a Deo volitum, et non converso [...], quia est bonum, ideo acceptatum."). Th. Hobbes übertrug die an keine vorgängigen Normen gebundene 'potentia Dei absoluta' auf den politischen Souverän und stattete das von diesem gesetzte positive Recht mit uneingeschränkter, von keiner Gewissenseinrede erschütterbarer, Verbindlichkeit aus. Allerdings war die Verabsolutierung der staatlich-politischen Souveränität für Hobbes, anders als für Schmitt, kein Selbstzweck, sondern stand ganz im Dienste der Abwehr der Gefahr eines Bürgerkrieges (was v.a. dort sichtbar wird, wo Hobbes Kriterien einer 'guten', nämlich dem primären Sicherungszweck dienlichen, Gesetzgebung benennt, vgl. Hobbes 1991/1561: 239 ff.). Bei Schmitt hingegen steht sie im Kontext eines politischen Existentialismus, der für die Sicherheitsbedürfnisse des Bürgertums, der stets kompromißbereiten 'diskutierenden Klasse', nur Verachtung übrig hat.

Durch seine Verstrickung in die NS-Ideologie schien der rechtsphilosophische D. eines C. Schmitt in der Nachkriegszeit zunächst historisch kompromittiert; Schmitt selbst hatte sich bereits in den dreißiger Jahren von einem radikalen D. zugunsten eines - in vielem allerdings noch den älteren Auffassungen verpflichteten - 'konkreten Ordnungsdenkens' abgewandt und damit eine der Heideggerschen 'Kehre' analoge Wandlung vollzogen (vgl. Krockow 1958: 94 ff). Elemente eines moralphilosophischen D. spielten jedoch vor allem in existentialistischen Situationsethiken eine große Rolle. So findet sich Sartre zufolge der Mensch keinen vorgegebenen Normen oder Werten gegenüber. Ethische Orientierung gewinnt er vielmehr allein vermöge eines Selbstentwurfs, der auf ein Ideal nicht nur der eigenen Person, sondern des Menschen überhaupt gerichtet ist (vgl. Sartre 1946). In direkter Anknüpfung an Schmitts Begrifflichkeit bemühte sich in Deutschland v.a. H. Lübbe um eine Rehabilitation des moralphilosophischen und politischen D. Ausgehend von der These, daß Entscheidungen niemals vollständig durch Gründe vorgegeben seien, so daß jede "Entscheidungssituation [...] stets eine Ausnahmesituation" darstelle, betont er die Notwendigkeit, "angesichts alternativer Möglichkeiten den Graben der Ungewißheit, welche die richtige oder die bessere ist" (Lübbe 1971: 18 f.) durch eine nicht weiter rationalisierbare Entscheidung zu überspringen (vgl. auch Lübbe 1981/1975). Dabei geht es ihm jedoch eigenem Bekunden nach nicht um die Formulierung von Regeln des klugen Entscheidens unter Ungewißheit, wie sie die Descartes' 'provisorische Moral' zum Gegenstand hat (vgl. Lübbe 1971: 25 ff.), sondern um die Anerkennung der bloßen Faktizität des Entscheidens, die schließlich auch in Demokratien die letzte Legitimationsinstanz darstelle: "Eine jede Debatte endet damit, daß statt Gründen Hände aufgezeigt werden." (Lübbe 1971: 29) Von dem konsequenten D., den C. Schmitt in den zwanziger Jahren vertrat, unterscheidet sich Lübbes D. freilich durch die eigentümliche und teilweise widersprüchliche (vgl. Reese-Schäfer 1997: 216 ff.) Amalgamierung mit einem an Gehlen gemahnenden Insititutionenvertrauen und der konventionalistischen Berufung auf den common sense (vgl. Kleger 1990).

Einen interessanten Versuch, die Berechtigung und Grenze der Schmittschen Denkfigur im Zusammenhang einer allgemeinen Theorie der Grund- und Bürgerrechte zu erweisen, hat jüngst A. Wellmer unternommen (Wellmer 1998). In Anknüpfung an Schmitt und Schmittsche Motive bei J. Derrida (Derrida 1991) betont Wellmer zunächst - ebenso wie Lübbe - die Tatsache, daß auch demokratisch-rechtsstaatliche, prinzipiell partizipativ angelegte Institutionen unter dem Zwang, umstrittene Materien in beschränkter Frist zu regeln, den Graben normativer Ungewißheit durch faktische Entscheidungen überspringen und diese notfalls auch mit Machtmitteln durchzusetzen müssen. Wellmer hält jedoch ausdrücklich an der normativen Forderung fest, Entscheidungen seien an der allgemeinen Zustimmungsfähigkeit der gewählten Lösungen zu orientieren. Die Orientierung an diesem Ideal legitimer Deliberation könne freilich die objektive Richtigkeit und Gerechtigkeit realer Entscheidungen nicht garantieren. Dies sei nicht nur wegen der Irreversibilität vieler Entscheidungen, sondern vor allem aufgrund der Tatsache relevant, daß sich demokratische Entscheidungen notgedrungen auch auf die Ausgestaltung der rechtsstaatlichen Institutionen selbst, auf Verfassungsfragen, die Positivierung der Grundrechte und damit auf ihre eigenen Grundlagen selbst beziehen müßten. Vor diesem Hintergrund betont Wellmer die Bedeutung der demokratischen Öffentlichkeit als jener "Sphäre, in der der Diskurs auch über den Moment der Entscheidung hinaus fortgesetzt werden kann, und zwar so, daß die kommunikative Macht der öffentlichen Meinung auch die Revision von Entscheidungen erzwingen kann" ( vgl. hierzu schon Apel 1973/1962; Habermas 1992; Wellmer 1998: 279).

Insgesamt werden in der gegenwärtigen moralphilosophischen Diskussion relativ selten Positionen vertreten, die sich selbst als dezisionistisch verstehen (z. B. von Keuth 1993; Keuth 1994). Dezisionistische Elemente finden sich hingegen in nahezu allen zeitgenössischen Ethiken. Ganz grob lassen sich dabei zwei Varianten des ethischen D. unterscheiden. Die eine Variante des D. besteht in der Annahme, daß es auf die Frage: Warum überhaupt moralisch sein?, keine hinreichend verbindliche Antwort gibt, so daß wir einer Person, die sich bewußt gegen das Moralisch-Sein entscheidet, nur mit mehr oder weniger schwachen, jedenfalls nicht 'schlagenden' Klugheitsgründen oder mit Sanktionsdrohungen begegnen können (vgl. in verschiedenen Varianten u.v.a. Ilting 1982; Schönrich 1994; Tugendhat 1993). In der anderen Variante bezieht sich der D. nicht auf die Gültigkeit der Ethik insgesamt, sondern auf die jeweils für verbindlich erachteten Inhalte, die von subjektiven Wertentscheidungen der Akteure abhängig gemacht werden (so z. B. bei Hare 1983/1952; Sartre 1946). In jedem Fall verbindet sich mit dem moralphilosophischen D. die Gefahr des ­Relativismus.

3 Praxis

Angesichts der kognitiven Ansprüche, die sich moralischen Äußerungen verbinden, scheint der moralphilosophische D. kontraintuitiv (vgl. Habermas 1991a: 122). Da jede Form des moralphilosophischen D. das Konzept der Gültigkeit moralischer Normen beschädigt, ist er aus normativ-ethischer Sicht grundsätzlich unbefriedigend. Auch erzwingt die Tatsache, daß Entscheidungen stets mehr oder weniger unter suboptimalen Bedingungen (z. B. unter empirischer oder normativer Ungewißheit, bei Mangel an Informationen, an Zeit, an kognitiven oder instrumentell-technischen Ressourcen etc.) getroffen werden müssen, keineswegs einen moralphilosophischen D., wie Lübbe meint. Prinzipiell sind zwei Fälle zu unterscheiden: In Situationen, in denen eine Handlungsorientierung an Gründen faktisch gar nicht mehr möglich ist, kann man nicht mehr sinnvoll von einem rechtfertigungsbedürftigen Handeln bzw. von Entscheidungen (sondern nur noch von einem u. U. zu entschuldigenden Verhalten) reden, da es dem moralischen Akteur an Handlungsfreiheit fehlt. In allen anderen Situationen hingegen ist Handeln stets in irgend einer Form an Gründen orientiert, die moralischer Kritik zugänglich sind - sogar im Fall, in dem sich eine Person angesichts eines unlösbaren moralischen ­Dilemmas für eine der beiden 'gleich schlechten' Optionen entscheidet, handelt sie in gewisser Weise unter Gründen (nämlich aufgrund der ethischen Norm, daß angesichts moralisch gleich zu bewertender Optionen die Wahl beliebig ist). Das entsprechende Fazit, bezogen auf die D.-Diskussion in Rechtsethik und politischer Philosophie zieht A. Wellmer mit der Forderung, "daß keine Dezision sich dem »zwanglosen Zwang« einer diskursiven Überprüfung und Kritik soll entziehen können, und zwar [...] im Sinne genau jenes demokratischen Legitimitätsprinzips, das für rechtliche Dezision die Möglichkeit einer rationalen Zustimmung aller Betroffenen fordert. Das Organisationsprinzip einer solchen Rückbindung der Dezision an den Diskurs ist die demokratisch Öffentlichkeit." (Wellmer 1998: 278)

Hingewiesen sei noch auf ein bislang unerwähnt gebliebenes Wahrheitsmoment des D., das v. a. in der existentialistischen Variante des D. aufgehoben ist. Wie J.-P. Sartre im Einklang mit einer langen Tradition der Praxisphilosophie hervorhebt, ist Handeln stets auch mehr oder weniger als ein projizierendes, kreativ-experimentelles Sich-Entwerfen des Handlungssubjekts zu begreifen (vgl. hierzu auch Joas 1992). Selbstverständigung bzw. Selbsterkenntnis und kreativer Selbstentwurf sind an dieser Stelle untrennbar miteinander verwoben. Indem ich mich in meinem Handeln als eine bestimmte Person 'wähle', ein bestimmtes Selbstbild in die Zukunft projiziere, erkenne ich zugleich bestimmte Werte als für mich (auch in Zukunft) verbindlich an. Dieser Prozeß ist im Rahmen einer am evaluativen Ideal eines individuell oder gemeinschaftlich 'guten Lebens' orientierten Strebensethik alles andere als unbedeutend. Eine intersubjektiv verbindliche normative Ethik kann freilich niemals allein aus der rein subjektiv-evaluativen Perspektive eines sich entwerfenden Selbst gewonnen werden (vgl. ct. Sartre: Welzel 1990: 216). Es bedarf daher der Restriktion der - sozusagen partiell 'dezisionistischen' - evaluativ-strebensethischen Selbstbestimmung durch die Normen einer intersubjektiv verbindlichen Sollensethik. Eine vollständige ethische Konzeption muß die normative-moralische und die evaluativ-pragmatische Dimension praktischer Rationalität sowohl hinreichend differenzieren, als auch angemessen zu integrieren suchen (vgl. z. B. Habermas 1991b).

4 Literatur

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Böhler, Dietrich (1988): Die deutsche Zerstörung des politisch-ethischen Universalismus: Über die Gefahr des - heute (post-)modernen - Relativismus und Dezisionismus. In: Forum für Philosophie Bad Homburg: Zerstörung des moralischen Selbstbewußtseins: Chance oder Gefährdung? Praktische Philosophie in Deutschland nach dem Nationalsozialismus. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 166-216.

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