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Werner, Micha H. (2001):

Who Counts?

Argumente zur Beantwortung der Inklusionsfrage im Rahmen der transzendentalpragmatischen Diskursethik

Eine pdf-Version dieses Textes finden Sie hier.

Vorläufiges, nicht zitierfähiges Diskussionspapier

Eine überarbeitete Fassung ist erschienen in: Niquet, Marcel / Herrero, Francisco J. / Hanke, Michael (Hg.): Diskursethik: Grundlegungen und Anwendungen. Würzburg: Königshausen & Neumann, S. 265-292.





Zum AnfangRelevanz der Inklusionsfrage

Von jeder Konzeption normativer Ethik dürfen wir eine Antwort auf die Frage erwarten, "wer alles es ist, demgegenüber wir moralische Verpflichtungen haben" (Tugendhat 1992, S. 371) oder, anders gesagt, wem wir moralische Achtung schulden. Diese Frage wird im folgenden "Inklusionsfrage" genannt.

Normative Ethik sucht ja zu klären, wozu wir moralisch verpflichtet sind. Dies ist aber nicht ohne eine Antwort auf die Frage möglich, wem gegenüber solche Verpflichtungen bestehen. Es ergibt sich, daß jede Form normativer Ethik entweder eine wenigstens implizite Antwort auf die Inklusionsfrage geben oder in einer wichtigen Hinsicht als unvollständig gelten muß.

Dabei ist zu beachten, daß Ungewißheiten hinsichtlich der Inklusionsfrage nicht nur für die moralische Beurteilung des Umgangs mit denjenigen Wesen bedeutsam sind, deren moralischer Status jeweils ungewiß ist (wenn wir einmal davon ausgehen, daß dies nur bei einigen, aber nicht bei allen Wesen der Fall ist). Vielmehr ist von diesen Ungewißheiten auch unser Verhältnis gegenüber denjenigen betroffen, denen unzweifelhaft der Status moralischer Anspruchssubjekte zukommt. Wir müssen ja damit rechnen, daß es zwischen den moralischen Verpflichtungen gegenüber einem Wesen X, das unstrittig den Status eines moralischen Anspruchssubjekts innehat, und den fraglichen Verpflichtungen gegenüber einem Wesen Y, dessen moralischer Status ungewiß ist, zu Kollisionen kommt. Diese können wir nicht auf befriedigende Weise auflösen, solange wir nicht wissen, ob wir mit Pflichten gegenüber Y nun tatsächlich zu rechnen haben oder nicht.



Zum AnfangBedeutung der Inklusionsfrage

Ich möchte die Frage, wem wir moralische Achtung schulden, so interpretieren, daß sie gleichbedeutend mit der Frage ist, die Interessen und/oder Bedürfnisse welcher Wesen in praktischen Überlegungen um ihrer selbst willen berücksichtigt werden sollen (vgl. ähnlich Apel 1973, S. 425; hierzu Kettner 1997, S. 99).

Bedürfnisse werden dabei als Bedingungen verstanden, die für die Erhaltung oder Herstellung eines bestimmten, in irgend einer Weise 'subjektiv angestrebten' Zustandes - z. B. der Existenz, der Gesundheit, der Autonomie, des Wohlergehens oder des Glücks - eines Lebewesens notwendig oder dienlich sind. Sie existieren unabhängig davon, ob sie ihren Trägern bewußt sind oder nicht. Bedürfnisse sind also objektive Bedingungen für die Herstellung oder Aufrechterhaltung bestimmter Zustände. Diese Zustände ihrerseits sind allerdings teilweise subjektiver, psychischer Natur, das heißt sie offenbaren sich als Zustände der Innenwelt eines Lebewesens. Der Begriff des Interesses baut auf dem des Bedürfnisses auf. Interessen werden als interpretierte und in dieser Interpretation von einem Interessensubjekt willentlich bekräftigte Bedürfnisse verstanden. Genauere Erläuterungen des Bedürfnis- und Interessenbegriffs wären nötig, müssen hier aus Platzgründen aber unterbleiben.

Interessen oder Bedürfnisse anderer Wesen zu berücksichtigen, hat nur dann einen moralischen Sinn, wenn diese Interessen oder Bedürfnisse "um ihrer selbst willen" berücksichtigt werden. Wir können Interessen oder Bedürfnisse anderer ja auch aus externen Gründen, das heißt instrumentell, zu befriedigen suchen. Beispielsweise kann sich eine Gesellschaft Normen, die eine artgerechte Tierhaltung gewährleisten sollen, allein in der Absicht auferlegen, dadurch die Qualität tierischer Produkte zu verbessern. Dies ist nicht Ausdruck moralischer Achtung, sondern eines einseitigen Vorteilskalküls.

Auch ein wechselseitiger Vorteilstausch, wie ihn Vertragspartner vornehmen, die im festgelegten Rahmen gegenseitig ihre Interessen befriedigen, ist nicht moralischer, sondern instrumenteller Natur. (Damit wird nicht bestritten, daß die Institution des Tauschvertrages als Teil einer normativen Rahmenordnung verstanden werden muß, die sich ihrerseits nicht vollständig 'instrumentalistisch', aus reiner Tauschrationalität, entwickeln läßt. Die Beziehung zwischen den Vertragspartnern ist insofern als eine Doppelbeziehung zu interpretieren, die neben der instrumentellen Berücksichtigung der Interessen des Vertragspartners auch dessen Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied einer Ordnung umfaßt, dem als solchem ein Recht auf Vertragseinhaltung zukommt.)

Interessen oder Bedürfnisse anderer um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, ist etwas grundlegend anderes. Wenn wir Interessen oder Bedürfnisse um ihrer selbst willen berücksichtigen, erkennen wir sie als potentiell legitime Ansprüche an, die im Rahmen einer praktischen Überlegung, zum Beispiel in einem moralischen Diskurs oder einem utilitaristischen Gesamtnutzenkalkül, eventuell auch gegen die Ansprüche anderer Mitglieder des moralischen Universums zur Geltung gebracht oder gegen sie aufgerechnet werden können - also, wenn wir Pech haben, auch gegen die eigenen. (Dies impliziert nicht die sozusagen 'rigoristische' These, daß die Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse anderer nur in solchen Fällen einen moralischen Sinn hat, wo ihretwegen eigene Bedürfnisse oder Interessen hintangestellt werden. Die Frage, ob solche Fälle überhaupt denkbar sind, ist jedoch der Prüfstein dafür, ob es sich um eine Anerkennung um ihrer selbst willen, das heißt um eine moralische Anerkennung, handelt.)

Aus dem Gesagten folgt, daß die Einbeziehung zusätzlicher Wesen in den Kreis der moralisch Anspruchsberechtigten stets eine potentielle Einschränkung des Bereichs legitimer Ansprüche der bislang moralisch anerkannten Wesen bedeutet. (Zwar ergäbe es ein nicht nur übertrieben vereinfachtes, sondern auch in gewisser Weise schiefes Bild, wollte man die durch moralische Anerkennungsverhältnisse strukturierten sozialen Interaktionen als ein Nullsummenspiel betrachten. Denn als Wesen, die mit einem moralischen Sinn ausgestattet sind, können wir die gleichberechtigte Anerkennung der Interessen oder Bedürfnisse anderer zu unserem eigenen, sozusagen aus moralisch-praktischer Vernunft gezeugten Interesse machen. Aber durch diese Möglichkeit wird die Möglichkeit primärer Bedürfnis- und Interessenkonflikte nicht negiert. Vielmehr wird diese durch jene bereits vorausgesetzt.)

In der Forderung, Bedürfnisse und Interessen um ihrer selbst willen zu achten, liegt implizit bereits Verpflichtung zur Gleichbehandlung. Denn wenn die Berücksichtigung von Bedürfnissen und Interessen um ihrer selbst willen erfolgen muß, so können auch die Gründe, die für eine unterschiedliche Berücksichtigung bzw. Gewichtung verschiedener Bedürfnisse und Interessen geltend gemacht werden dürfen, nur in der Art der Bedürfnisse bzw. Interessen selbst liegen. Wenn Interessen oder Bedürfnisse unterschiedlich stark beachtet werden sollen, so muß gezeigt werden, daß sie selbst in relevanter Hinsicht verschieden sind.

Das bedeutet auch, daß in bezug auf die Fragestellung, ob ein bestimmtes Wesen überhaupt moralische Achtung verdient, eine 'gradualistische' Betrachtungsweise inadäquat wäre. Ein Wesen verdient entweder moralische Achtung oder nicht. Eine gradualistische Abstufung wird sich jedoch vermutlich bei der Beantwortung der spezifischen Folgefragen ergeben, welches Bedürfnis bzw. Interesse welches Wesens wie zu berücksichtigen ist. Verschiedene Wesen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen, und dies kann durchaus eine graduelle Abstufung auch der korrespondierenden moralischen Ansprüche rechtfertigen. (Auf die Folgeprobleme, die ein entsprechender Gradualismus moralischer Ansprüche aus rechtsethischer Perspektive erkennen läßt, kann hier nur hingewiesen werden.)

Mit der vorgeschlagenen Definition moralischer Achtung ist, wie vermutlich mit jeder anderen denkbaren Definition moralischer Achtung, eine partielle Vorentscheidung der Inklusionsfrage getroffen: Wenn moralische Achtung auf die Berücksichtigung von Bedürfnissen und/oder Interessen zielt, so verlieren all jene Entitäten, denen wir weder Interessen noch Bedürfnisse zuschreiben können, den Status von Anwärtern auf ein Recht auf moralische Achtung. Wenn nicht gezeigt werden kann, daß bestimmte Entitäten, zum Beispiel Steine, Landschaften, die irdische Ökosphäre oder die Milchstraße, über eigene Bedürfnisse verfügen, sind sie damit von vornherein aus dem Kreis moralischer Anspruchssubjekte ausgeschlossen.

Allerdings wäre es meines Erachtens absurd, darin eine unzulässige Engführung zu sehen. Denn tatsächlich können wir bei solchen Entitäten gar nicht wissen, was moralische Achtung ihnen gegenüber überhaupt bedeuten, worauf sich unsere moralische Rücksichtnahme überhaupt richten könnte. Freilich kann man beispielsweise fordern, die Integrität einer Landschaft zu schützen. So lange dem hiermit supponierten Wert 'Integrität' aber nicht ein Bedürfnis oder gar ein Interesse der Landschaft selbst korrespondiert, zielt diese Forderung nicht auf eine Form moralischer Achtung der Landschaft, sondern (beispielsweise) auf die moralische Berücksichtigung der ästhetischen Interessen derjenigen moralischen Anspruchssubjekte, welche die Integrität der Landschaft als wertvoll empfinden.



Zum AnfangStrategien zur Problemvermeidung

Wenn wir im Zweifel sind, ob wir einem bestimmten Wesen oder einer bestimmten Gruppe von Wesen moralische Achtung schulden, können uns 'höherstufige' Entscheidungsregeln nur in beschränktem Maße helfen, mit dieser Ungewißheit vernünftig umzugehen.

Würden wir uns zum Beispiel am Grundsatz: "Im Zweifel für eine Einbeziehung" orientieren, könnte dies dazu führen, daß legitime Ansprüche derjenigen, die unzweifelhaft moralische Achtung verdienen, aufgrund einer bloßen Vermutung eingeschränkt werden müssen, daß ihnen moralisch legitime Ansprüche anderer gegenüberstehen. Dies ist kontraintutiv. Dem Patienten, der an einer lebensbedrohlichen Infektionskrankheit leidet, kann eine Therapie kaum mit der Begründung vorenthalten werden, es gebe eine - wenngleich verschwindend geringe - Wahrscheinlichkeit dafür, daß auch Bakterien moralische Anspruchssubjekte seien, daß wir ihnen eine Art Lebensinteresse zuschreiben und es als legitimen moralischen Anspruch ansehen müßten.

Die entgegengesetzte Möglichkeit, "im Zweifel gegen die Einbeziehung" zu optieren, scheint kaum weniger inakzeptabel. Zwar läßt sich das Feld möglichen Zweifels durch sinnkritische Argumente einschränken. Für einen hartnäckig Zweifelnden bleibt dieses Feld jedoch, wie noch zu zeigen sein wird, immer noch weit genug, um die moralische Anspruchsberechtigung eines Teils derjenigen Wesen in Frage zu stellen, die gemäß verbreiteten Intuitionen unbedingt moralische Achtung verdienen (s. u. Teil 5).

Schließlich könnte man versuchen, der Ungewißheit durch eine Proportionalitätsformel gerecht zu werden; etwa in der Weise, daß die Gewißheitsunterschiede hinsichtlich des moralischen Status potentieller moralischer Anspruchssubjekte in die Gewichtung der in Frage stehenden Ansprüche dieser potentiellen Moralsubjekte aufgenommen werden. Demnach würde zum Beispiel ein bestimmtes Bedürfnis eines Wesens X, das sicher zum Kreis der moralischen Anspruchssubjekte gehört, voll berücksichtigt, ein ansonsten vergleichbares Bedürfnis eines Wesens Y, bei dem wir nur halb überzeugt sind, daß es moralische Achtung verdient, nur zu 50 Prozent. Diese Lösung scheint prima facie nicht ganz unplausibel. Sie bringt jedoch verschiedene Schwierigkeiten mit sich.

Zum einen drängen sich pragmatische Bedenken gegen die Möglichkeit der erforderlichen Quantifizierungen auf. Quantifiziert werden müßte ja sowohl der Grad der Gewißheit, daß einem Wesen Y der Status eines moralischen Anspruchssubjekts zukommt, als auch das Gewicht bzw. die Dringlichkeit aller potentiellen moralischen Ansprüche, die von Y geltend gemacht werden könnten und der eventuell damit kollidierenden Ansprüche anderer. Dieser Hinweis ist allerdings dort kein schlagender Einwand, wo im Rahmen moralisch-praktischer Überlegungen ohnehin ähnliche Quantifizierungen vorgenommen werden müssen.

Grundlegender Art ist ein zweiter Einwand. Er besagt, daß die Proportionalitätsformel noch weniger rational ist als die beiden zuvor skizzierten Entscheidungsregeln. Begründet wird dies folgendermaßen: Wenn wir, wie es die proportionale Anspruchsgewichtung vorsieht, gleiche (potentielle) Ansprüche von X und Y ungleich behandeln würden, würden wir unvermeidlich gegen den Grundsatz gleicher Behandlung gleicher Bedürfnisse bzw. Interessen verstoßen. Würden wir hingegen eine 'glatte' Entscheidung für oder gegen die gleichberechtigte Berücksichtigung der potentiellen Ansprüche von Y treffen (selbst wenn wir dies durch das Werfen einer Münze täten), so würden wir uns zumindest eine Chance bewahren, die moralisch objektiv richtige Lösung zu treffen. Zwar wäre diese Chance mit einem unter Umständen erheblichen Risiko einer moralischen Fehlentscheidung verbunden. Dies könnte aber schwerlich ein Einwand sein, solange das alternative Entscheidungskalkül mit Sicherheit eine moralisch inakzeptable Ungleichbehandlung gleichwertiger Interessen vorsieht.

Bei genauerem Hinsehen erweist sich dieser Einwand jedoch als problematisch. Das Problem liegt darin, daß in einem ersten Schritt die Handlungsoptionen gemäß dem deontologischen Bivalenzprinzip als richtig bzw. falsch beurteilt werden und in einem zweiten Schritt eine sozusagen entscheidungstheoretische Überlegung angestellt wird, die der Minimierung des Risikos einer moralischen Fehlhandlung dient. Eine solche Argumentation beinhaltet jedoch einen Ebenenfehler. Es wird übersehen, daß sich die moralische Beurteilung gemäß der Leitdifferenz "richtig/falsch" nur auf eine Handlungsweise selbst, das heißt auf die Wahl einer spezifischen Handlungsoption in einer spezifischen, durch Ungewißheit gekennzeichneten Situation aufgrund spezifischer argumentativer Erwägungen, beziehen kann, nicht schon auf die einzelnen Handlungsoptionen, zwischen denen anhand moralischer Argumente eine Wahl getroffen wird. Was die Bewertung dieser Optionen betrifft, so ist durchaus, ungeachtet der Gültigkeit des deontologischen Bivalenzprinzips, ein Gradualismus im Sinne eines 'Besser oder Schlechter' möglich. Die Proportionalitätsformel ließe sich daher durchaus als Versuch rechtfertigen, das Ausmaß der Verletzung legitimer Ansprüche so gut als möglich zu minimieren. Der Einwand, daß eine Orientierung an der Proportionalitätsformel noch unvernünftiger sei als beispielsweise das Werfen einer Münze, kann daher nicht überzeugen.

Es bleiben jedoch auch Zweifel an der Proportionalitätsformel selbst. Tatsache bleibt ja, daß sie eine Verrechnung zweier Größen empfiehlt, die verschiedenen Kategorien angehören: der Intensität eines Bedürfnisses oder Interesses einerseits und der Gewißheit, daß wir dem Subjekt dieses Bedürfnisses bzw. Interesses moralische Achtung schulden, andererseits. Im Sinne eines pragmatischen "Dissensmanagements" mag dieser Grundsatz dennoch als akzeptable Faustregel taugen, sofern er mutmaßlich dazu beitragen kann, das Ausmaß moralischer Verfehlungen zu minimieren. Restlos befriedigen kann er nicht.

Insgesamt sprechen die vorigen Überlegungen dafür, daß sich das Inklusionsproblem nicht durch höherstufige Strategien des Umgangs mit Ungewißheit eskamotieren läßt. Denn zum einen sind diese Strategien nicht wirklich überzeugend. Zum anderen setzt die letztlich plausibelste dieser Strategien ihrerseits zumindest eine möglichst präzise Bestimmung der Wahrscheinlichkeit voraus, mit der wir bestimmten Wesen moralische Achtung schulden. Es führt also kein Weg an der Aufgabe vorbei, die Inklusionsfrage als solche ernst zu nehmen und zu versuchen, sie mit den bestmöglichen Argumenten zu beantworten.



Zum AnfangReflexive und einfache Argumente

Die transzendentalpragmatische Diskursethik nimmt bei ihren Versuchen, moralisch-praktische Fragen zu beantworten, zwei verschiedene Argumentationstypen in Anspruch: Zum einen rekurriert sie auf reflexiv-sinnkritische Argumente, die auf transzendentale, nicht sinnvoll bezweifelbare pragmatische Bedingungen der Möglichkeit sprachlicher Verständigung überhaupt bezogen sind und die daher im Kern als infallibel gelten müssen. Zum anderen erlaubt und fordert sie die Einbeziehung aller möglichen anderen, nicht-reflexiven Argumente, sofern sie für die Beantwortung moralisch-praktischer Fragen notwendig oder hilfreich sind, und verlangt demgemäß die Etablierung praktischer Diskurse, in denen Gültigkeit und Reichweite dieser Argumente ergebnisoffen, zwanglos und möglichst öffentlich geprüft werden können.

Die Vertreterinnen und Vertreter der Transzendentalpragmatik sind sich darin einig, daß reflexive Argumente allein nur einen winzig kleinen, wenngleich kruzialen Beitrag für die Beantwortung moralisch-praktischer Fragen leisten können: Reflexive Argumente dienen primär zur Begründung der diskursethischen Auffassung davon, woran Moralsubjekte ihr Handeln überhaupt, in letzter Hinsicht, orientieren sollen, und zum Erweis der unbedingten Verbindlichkeit dieser Auffassung. Diese Begründungsaufgabe verortet Apel in Begründungsteil A1 seiner Architektonik der Diskursethik.

Die diskursethische Antwort auf die Frage, woran Moralsubjekte ihr Handeln überhaupt orientieren sollen, lautet: in letzter Hinsicht an der Konsensfähigkeit ihrer Handlungsweise im Rahmen eines unbegrenzten, argumentativen Diskurses. Die Frage, ob eine bestimmte Handlungsweise der im diskursethischen Moralprinzip formulierten Gültigkeitsbedingung genügt, kann daher nicht anders denn durch die diskursive Prüfung der jeweils sachgemäßen Argumente geprüft werden. Apel delegiert diese Aufgabe an einen eigenen Begründungsteil A2. In A2 geht es um die moralische Beurteilung bestimmter Handlungsweisen bzw. Normen im Rahmen praktischer Überlegungen, die dem Ideal eines in Hinblick auf Zeit, Teilnehmerschaft und Informationszugang unbegrenzten, rein verständigungsorientierten Diskurses möglichst nahe kommen.

Ob und in welcher Weise auch in A2 auf reflexive Argumente Bezug genommen werden kann bzw. muß, um bestimmte Handlungsweisen bzw. material gehaltvolle Normen als gültig auszuweisen, ist innerhalb der Transzendentalpragmatik nicht ganz unumstritten. Diese Frage muß hier aber nicht diskutiert werden. Konsens besteht jedenfalls darüber, daß in den moralisch-praktischen Diskursen, die dem Begründungsteil A2 zuzurechnen sind, in großem Umfang nicht-reflexive Argumente geprüft werden müssen. Unstrittig ist auch, daß Fragen der konkreten Handlungsorientierung innerhalb realer Entscheidungssituationen unmöglich allein auf der Grundlage reflexiver Argumente beantwortet werden können, da hier auch empirische und empirisch-hermeneutische Fragen der Situationseinschätzung und Situationsbewertung eine Rolle spielen, auf die es nur fallible Antworten gibt.

Was die Möglichkeit anbetrifft, im Rahmen der Transzendentalpragmatik Argumente für die Beantwortung der Inklusionsfrage zu finden, läßt sich aus diesen Überlegungen bereits eine Schlußfolgerung ziehen: Während es prinzipiell denkbar ist, daß wir eine generelle Pflicht zur moralischen Achtung aller Wesen, die eine generelle Eigenschaft x haben, strikt reflexiv begründen können, läßt sich die Auffassung, daß ein konkretes, singuläres Wesen W die Eigenschaft x hat, nicht unabhängig von falliblen empirischen bzw. empirisch-hermeneutischen Überlegungen begründen. Was man sich von reflexiven Argumenten erhoffen darf, ist demnach prinzipiell nur die Begründung des generellen Obersatzes P1 eines praktischen Syllogismus etwa der Form: "Alle Wesen mit Eigenschaft x verdienen moralische Achtung". Um begründen zu können, daß ein singuläres Wesen W moralische Achtung verdient, bedarf es jedoch einer zweiten Prämisse P2 der Form: "W hat Eigenschaft x". Diese Prämisse P2 kann, so scheint es, nicht ohne Bezugnahme auf fallible empirische bzw. empirisch-hermeneutische Argumente begründet werden. Daher ist auch die Schlußfolgerung C: "W verdient moralische Achtung" nicht strikt reflexiv begründbar.



Zum AnfangDie Reichweite reflexiver Argumente

Wenigstens implizit sind die Vertreter der Transzendentalpragmatik der Überzeugung, daß die Inklusionsfrage partiell durch reflexive Argumente beantwortet werden kann. Daß eine bestimmte Gruppe von Lebewesen moralische Achtung verdient, kann reflexiv aufgewiesen werden; es wäre pragmatisch inkonsistent, ihren moralischen Status in Zweifel zu ziehen. Diese Gruppe umfaßt aber nicht alle diejenigen Wesen, die gemäß verbreiteten Intuitionen als moralische Anspruchssubjekte zu gelten haben: Unter den uns bekannten Lebewesen umfaßt sie nur Menschen und nicht einmal alle Menschen. Die Antwort, die allein mittels reflexiver Argumente auf die Inklusionsfrage gegeben werden kann, ist daher entweder unplausibel oder unvollständig.

Die transzendentalpragmatische Diskursethik erhebt den Anspruch, nicht nur gute Gründe, sondern eine schlechthin unbestreitbare und nicht einmal sinnvoll bezweifelbare Begründung dafür geben zu können, daß wir jedenfalls manchen Wesen gegenüber zu moralischer Achtung verpflichtet sind. Die Gegenthese ("Es gibt keine Wesen, denen wir moralische Achtung schulden") können wir dieser Auffassung zufolge nicht sinnvoll vertreten, weil wir wenigstens denjenigen, denen gegenüber wir diese These vertreten, moralische Achtung nicht, das heißt nicht auf pragmatisch konsistente Weise, absprechen können. Die Anerkennung eines Wesens als Argumentationspartner impliziert nämlich nach transzendentalpragmatischer Überzeugung dessen moralische Anerkennung. In unserer Rolle als Argumentierende müssen wir notwendig das Prinzip der unvoreingenommenen Berücksichtigung von Argumenten anerkennen; aus diesem Prinzip läßt sich nach transzendentalpragmatischer Auffassung wiederum das Prinzip der unparteilichen Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen aller potentiellen Argumentationspartner gewinnen (s. ct. Wellmer 1986, S. 106 ff.). Die Menge der moralisch anspruchsberechtigten Wesen umfaßt demnach mindestens die Menge derjenigen Wesen, denen gegenüber ich Geltungsansprüche erhebe.

Wie groß ist nun die Menge der Adressaten meiner Geltungsansprüche, denen ich als solchen auch moralische Achtung entgegenbringen muß? Sind es nur diejenigen Wesen, mit denen ich aktuell diskutiere (A)? Sind es nur die Mitglieder einer Teilmenge der überhaupt Argumentationsfähigen, nämlich die Mitglieder einer empirischen Gemeinschaft, die 'wir' (ein partikulares 'Wir') als 'für uns' relevante Argumentationsgemeinschaft anzuerkennen wollen, weil uns nun gerade so paßt (B)? Oder verdienen doch mindestens alle argumentationsfähigen Wesen moralische Achtung (C)? Und, wenn dies der Fall ist: Sind davon nur die faktisch Argumentationsfähigen (C1) oder auch die potentiell argumentationsfähigen Wesen (C2) umfaßt? Und, wenn letzteres der Fall sein sollte: Welches Verständnis von 'Potentialität' dürfen und müssen wir hier zugrunde legen? Handelt es sich um die 'einfache' Potentialität, nämlich das Vermögen eines Wesens, einmal realiter ein Argumentierender zu werden, (C2-a) oder um eine "Potentialität zweiter Stufe", nämlich die Zugehörigkeit zu einer Gattung, als deren Mitglied ich ein Argumentierender hätte werden können, wenn nicht bestimmte hindernde Umstände eingetreten wären (C2-b; zur letzten Unterscheidung vgl. Skirbekk 1994; Skirbekk 1995)?

Im folgenden gehe ich davon aus, daß die Positionen (A) und (B) unhaltbar sind und daß Position (C) eine unbezweifelbare Minimalposition darstellt, verzichte an dieser Stelle aber auf eine weitere Begründung, da sie zu weit in allgemeine Grundlagenprobleme der Transzendentalpragmatik zurückgreifen müßte. Es ist ja klar, daß, wenn (A) oder (B) gültige Positionen wären, das Begründungsprogramm der transzendentalpragmatischen Diskursethik ohnehin als gescheitert zu gelten hätte, weil moralische Verpflichtungen nicht als unbedingt verbindlich ausgewiesen werden und daher auch gar keinen moralischen Geltungssinn mehr beanspruchen könnten, wenn die Frage, wem gegenüber ich (oder wir) solche Verpflichtungen habe(n), von Entscheidungen abhängig ist, die ich in Ausübung meiner (oder wir in Ausübung unserer) Willkürfreiheit nach Belieben so oder auch anders treffen könnte(n), weil es mir (bzw. uns) freistünde, eine Diskussion abzubrechen oder jemanden nicht als Argumentationspartner anzuerkennen.

Auch spricht manches dafür, daß eine Verbindung von reflexiven Argumenten mit Potentialitätsargumenten in gewissen Grenzen ein vielversprechender Weg sein könnte, um die Inklusionsgrenzen über den in (C1) umfaßten Bereich der aktuell Argumentationsfähigen hinaus auszudehnen. Sollte dies zutreffen, so ließe sich im Rahmen der transzendentalpragmatischen Diskursethik selbst dann, wenn man sich im Kern auf reflexive Argumente beschränken würde, eine bedeutend plausiblere Antwort auf die Inklusionsfrage gewinnen, als Angelika Krebs sie der Diskursethik unterstellt (vgl. Krebs 1995, S. 322 ff.). Allerdings sind Potentialitätsargumente für die Einbeziehung bestimmter Wesen in den Kreis der moralisch Anspruchsberechtigten (ebenso wie Identitäts- und Kontinuitätsargumente) prinzipiell heikel; die im Kontext bioethischer Fragen, zumal des Embryonenstatus, geführten Kontroversen lassen dies hinreichend deutlich werden. Die spezifischen Schwierigkeiten, welche die Verwendung von Potentialitätsargumenten im Rahmen der transzendentalpragmatischen Diskursethik überhaupt mit sich bringt, bedürften freilich einer genauen Erörterung, die hier nicht geleistet werden kann.

Nur einen Punkt möchte ich hervorheben: zumindest die Bezugnahme auf eine "Potentialität zweiter Stufe", wie sie zunächst von Gunnar Skirbekk mit einiger Skepsis erwogen wurde, kann meines Erachtens nicht mehr zur Erweiterung des Geltungsbereichs reflexiver Inklusionsargumente dienen. Unter Rekurs auf Potentialitätsargumente zweiter Stufe wird versucht, eine Pflicht zur moralischen Achtung nicht nur derjenigen zu begründen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit später einmal Argumentationspartnerinnen oder -partner sein werden, sondern überdies auch derjenigen, die nie werden argumentieren können, die aber Mitglieder einer biologischen Art sind, deren Vertreter normalerweise argumentationsfähig sind. Es gebe nämlich, so argumentiert Dietrich Böhler, "keinen Wesensunterschied sondern nur den eines kontingenten Schicksals [...] zwischen uns »Normalen«, die wir real mögliche Dialogteilnehmer sind, und den Schwerstgeschädigten [...], welche entweder nie oder nicht mehr an einer Diskussion werden teilnehmen können." Daher gehörten "auch sie, die bloß möglichen Dialogpartner, zum Begriff des Dialogs dazu"; und also müßten "unsere Behauptungen [...] ihren Anspruch auf Gültigkeit gegenüber allen möglichen Dialogteilnehmern, verfehlen [...], wenn wir nicht auch die möglichen Geltungsansprüche derer in gleicher Weise berücksichtigten, die gattungsevolutionär auf Dialogfähigkeit angelegt waren, aber als Föten eine Entwicklungskatastrophe erlitten, und ebenso derer, welche die Dialogfähigkeit bereits realisiert hatten, dann aber durch Unfall oder Alterskrankheit verloren haben. Sie gehören in die Gemeinschaft möglicher Subjekte von Geltungsansprüchen und haben daher denselben Anspruch, als mögliche Dialogpartner geachtet (und gleichberechtigt advokatorisch vertreten) zu werden, wie diejenigen, die sich selbst vertreten können."(Böhler 1997, Teil II.2.3.2.2)

Obwohl mit diesen Überlegungen etwas Wichtiges getroffen ist, scheint mir, daß sie keine strikt reflexiven Begründungen tragen können. Der Bezugnahme auf 'Potentialität zweiter Stufe' scheint ein sozusagen 'metaphysischer' Begriff des Menschen zugrunde zu liegen, dem zufolge der Mensch wesensmäßig argumentationsfähig ist, obwohl einige Vertreter dieser biologischen Art es offenbar gerade nicht sind. Dabei handelt es sich um genau jene Art von Zuschreibung, die Onora O'Neill, terminologisch etwas unglücklich, als "Idealisierung" kritisiert hat (vgl. O'Neill 1996, S.b 60). Es scheint widersprüchlich, einerseits Argumentationsfähigkeit als für die Zuschreibung moralischer Anerkennung entscheidendes Spezifikum anzusehen, andererseits jedoch zu behaupten, es gebe keine Wesensunterschiede zwischen aktuell oder potentiell argumentationsfähigen Menschen und solchen, die nicht argumentationsfähig sind, und damit implizit eine andere, nämlich biologische Unterscheidung als 'wesentlich' auszuweisen. Wie Skirbekk feststellt, "dreht" sich die Argumentation bei der Bezugnahme auf die sog. Potentialität zweiter Ordnung in eigentümlicher Weise; "sie wechselt von der Betrachtung der realen Potentialitäten eines Individuums zu einer Betrachtung der Potentialitäten einer Gattung, der dieses Individuum angehört" (Skirbekk 1995, S. 426). Aber nicht eine biologische Gattung, sondern kommunikativ vergemeinschaftete Individuen sind Adressaten von Geltungsansprüchen. Daß ein Wesen im Sinne der "Potentialität zweiter Stufe" argumentationsfähig ist, das heißt: einer bestimmten biologischen Art zuzurechnen ist, der im allgemeinen Argumentationsfähigkeit eignet, wäre nur dann für Argumentationen relevant, falls schon vorausgesetzt werden könnte, daß diese Tatsache einen Grund für die Einbeziehung seiner möglichen Ansprüche in praktische Diskurse darstellt. Dieser Erweis selbst aber kann, wie es scheint, nicht strikt dialogreflexiv geführt werden.

Wenn die Annahmen und skizzenhaften Überlegungen dieses Abschnitts zutreffen, dann läßt sich eine Pflicht zur moralischen Achtung mindestens der aktuell argumentationsfähigen Wesen strikt reflexiv aufweisen. Mittels Potentialitätsargumenten kann diese Pflicht vielleicht auch auf diejenigen ausgedehnt werden, die wahrscheinlich einmal werden argumentieren können (also etwa auf Kleinkinder). Auch die Verbindung von reflexiven Argumenten mit Potentialitätsargumenten würde uns allerdings nicht die Möglichkeit eröffnen, auch nur allen Menschen oder gar anderen uns bekannten Lebewesen, etwa höheren Tieren, den Status moralischer Anspruchssubjekte zuzuschreiben. Daß auch schwerstgeschädigte Menschen, die niemals werden argumentieren können, moralische Achtung verdienen, ließe sich auf diese Weise nicht überzeugend begründen.

Daß nicht durch reflexive Argumente gezeigt werden kann, daß eine bestimmte Gruppe von Lebewesen moralische Achtung verdient, heißt aus zwei Gründen allerdings noch nicht, daß man gemäß diskursethischer Auffassung "mit ihnen tun und lassen [könnte], was man will" (Krebs 1995, S. 324). Erstens ist ja noch völlig offen, ob nicht durch andere, nicht-reflexive Argumente gezeigt werden kann, daß diese Wesen moralische Achtung verdienen. Die transzendentalpragmatische Diskursethik baut ja ausdrücklich auf die Möglichkeit, moralisch-praktische Fragen durch 'einfache' Argumente zu beantworten. Zweitens ist auch dann, wenn wir nicht zeigen können, daß die Bedürfnisse und Interessen einer bestimmten Gruppe von Wesen um ihrer selbst willen berücksichtigt werden müssen, denkbar, daß wir andere Gründe haben, diese Bedürfnisse und Interessen zu beachten. Eine so motivierte Rücksichtnahme ist hat dann allerdings nicht bzw. nicht unmittelbar einen moralischen Sinn. Im folgenden soll zunächst die erste Möglichkeit, die Möglichkeit einer Begründung moralischer Achtung durch nicht-reflexive Argumente, erwogen werden.



Zum AnfangDie Problematik nicht-reflexiver Argumente im Kontext der Inklusionsfrage

Prinzipiell ist es im Rahmen der transzendentalpragmatischen Diskursethik möglich, moralisch-praktische Fragen, die nicht schon durch reflexive Argumente zu klären sind, in moralisch-praktischen Diskursen (auf Apels Ebene A2) mittels nicht-reflexiver Argumente zu beantworten. Das Inklusionsproblem scheint sich dieser Möglichkeit allerdings auf eigentümliche Weise zu entziehen. Der Grund dafür liegt in der selbstreferentiellen Struktur, die das Inklusionsproblem annimmt, sobald es zum Thema eines praktischen Diskurses gemacht wird.

Wir hatten oben das Inklusionsproblem als die Frage bestimmt, welchen Wesen wir moralische Achtung schulden, und wir hatten dies als die Frage verstanden, die Interessen und Bedürfnisse welcher Wesen wir um ihrer selbst willen berücksichtigen sollen. Die Diskursethik schlägt nun als Methode zur Bestimmung derjenigen grundlegenden Handlungsorientierungen, durch welche die Bedürfnisse bzw. Interessen aller Anspruchsberechtigten auf die moralisch richtige Weise zur Geltung gebracht werden können, einen praktischen Diskurs vor. Bedürfnisse bzw. Interessen werden in diesem Diskurs in praktische Ansprüche transformiert, die sich auf bestimmte Handlungs- bzw. Normierungsoptionen beziehen. Als moralisch legitim gelten diese in dem Maß, in dem sie sich diskursiv rechtfertigen, also unter Berücksichtung aller sinnvollen Argumente als für alle akzeptabel erweisen lassen.

Dieses "für alle" bedeutet offenbar "für alle moralisch Anspruchsberechtigten". Es darf nicht nur auf die aktuellen Argumentationspartner und auch nicht allein auf die aktuell Argumentationsfähigen bezogen werden, wenn das Inklusionsproblem nicht schon auf eine ungerechtfertigte Weise vorentschieden werden soll.

Zwar kann die Frage, ob eine Handlungsoption aus der Perspektive aller moralisch Anspruchsberechtigten akzeptabel ist, ob also die Bedürfnisse und Interessen all derer, die moralische Achtung verdienen, angemessen berücksichtigt werden, faktisch nur von den aktuellen Argumentationspartnern entschieden werden. Diejenigen, die nicht aktuell teilnehmen, können aktuell auch nicht mitreden. Aber die Frage, ob sie im praktischen Diskurs überhaupt berücksichtigt werden sollen oder nicht, ist damit natürlich noch nicht beantwortet. Wenn bestimmte Lebewesen, die nicht aktuell am praktischen Diskurs teilnehmen bzw. gar nicht an ihm teilnehmen können, moralische Achtung verdienen, dann müssen sie ersatzweise advokatorisch vertreten werden. Wir müssen versuchen, ihre Bedürfnisse zu interpretieren und sie in Interessen und Ansprüche transformieren, die wir ebenso ernst nehmen müssen, wie unsere eigenen. Wir müssen gewissermaßen so tun, als säßen sie mit am Tisch. Eine solche advokatorische Vertretung scheint prinzipiell möglich und legitim (Micha Brumliks Einwände sind hier meines Erachtens nicht überzeugend vgl. Brumlik 1986, S. 274).

Die Notwendigkeit einer advokatorischen Vertretung derjenigen moralisch Anspruchsberechtigten, die nicht aktuelle Teilnehmer eines praktischen Diskurses sind, wird allerdings in dem Moment problematisch, wo dieser Diskurs der Prüfung nicht-reflexiver Argumente zur Beantwortung der Inklusionsfrage dient. Es hat ja den Anschein, daß der Versuch, in einem praktischen Diskurs die Frage zu beantworten, ob eine bestimmte Gruppe von Lebewesen moralische Achtung verdient, bereits eine Antwort auf diese Frage voraussetzt, da sich die Legitimität einer Inklusionsregelung eben an ihrer Akzeptabilität aus der Perspektive aller moralischen Anspruchssubjekte bemißt. Daher scheint es, daß die Legitimität einer Inklusionsregelung nicht geprüft werden kann, so lange wir noch nicht über eine gültige Inklusionsregelung verfügen. Denn so lange wissen wir ja eben noch nicht, wessen Bedürfnisse und Interessen wir bei dem Versuch, die richtige Inklusionsregelung zu finden, in der Form advokatorischer Vertretung berücksichtigen müssen.

Das gleiche Problem läßt sich auch von einem anderen Punkt aus einführen: Wesen, denen nicht schon der Status moralischer Anspruchssubjekte zukommt, können, wie es scheint, gar keine moralisch relevanten Ansprüche stellen; also auch nicht denjenigen auf die Anerkennung als moralisches Anspruchssubjekt überhaupt. Zwar sind wir als Teilnehmerinnen oder Teilnehmer eines praktischen Diskurses normativ genötigt, die potentiellen Ansprüche 'aller anderen' zu unseren Ansprüchen zu machen. Für die Berechtigung eines Anspruchs ist nicht entscheidend, wer ihn vorbringt: das betroffene Wesen selbst oder ein anderes Mitglied des Diskurses. Aber Pflicht wie Befugnis zur Rollenübernahme, die Pflicht und die Befugnis also, Ansprüche anderer ebenso ernsthaft gegenüber anderen zu vertreten, als ob sie eigene Ansprüche wären, erstreckt sich nur auf diejenigen, die moralische Achtung verdienen. Daher wäre es problematisch, würde ein Mitglied der Diskursgemeinschaft Ansprüche von Wesen vertreten, die nicht schon als moralische Anspruchssubjekte anerkannt sind. Die Möglichkeit, die 'Inklusionsansprüche' von Wesen, die wir nicht schon aufgrund reflexiver Argumente als moralische Anspruchssubjekte anerkennen müssen, sozusagen 'direkt' zum Gegenstand eines praktischen Diskurses zu machen, scheidet deshalb offenbar aus.

Denkbar scheint freilich noch eine zweite Möglichkeit, wie die 'Inklusionsansprüche' von Wesen, deren moralischer Status ungeklärt ist, in den praktischen Diskurs eingeführt werden könnten: Indem wir nicht bei den potentiellen Ansprüchen derjenigen Wesen ansetzen, deren moralischer Status zu klären ist, sondern bei Ansprüchen derjenigen, die an aktuellen Diskursen teilnehmen. Es ist ja denkbar, daß diese ein Interesse an der Anerkennung bestimmter Lebewesen als moralische Anspruchssubjekte haben. Aber auch diese Option scheint auf den ersten Blick wenig aussichtsreich. Wenn nämlich die sozusagen 'kantische' Intuition berechtigt ist, daß moralische Achtung keinesfalls durch externe Interessen motiviert sein darf (die Intuition also, die oben durch die Forderung einer Berücksichtigung der Bedürfnisse und/oder Interessen moralisch Anspruchsberechtigter um ihrer selbst willen zum Ausdruck gebracht wurde) dann kollidiert jede Argumentation, welche die Inklusion bestimmter Wesen in den Kreis der moralisch Anspruchsberechtigten von Interessen anderer Wesen abhängig macht, von vornherein mit dem moralischen Sinn desjenigen Anerkennungsaktes, für den argumentiert wird. Wenn es sich bei der Berücksichtigung der Bedürfnisse und Interessen eines Wesens um einen Ausdruck moralischer Achtung handeln soll, darf sie nicht von Interessen anderer abhängig sein.

Das vorläufige Fazit, das am Ende dieses Teils ansteht, scheint ausgesprochen mißlich. Reflexive Argumente reichen auch in Verbindung mit Potentialitätsargumenten nicht aus, um eine Pflicht zur moralischen Achtung all derjenigen zu begründen, die nach verbreiteten Intuitionen moralisch anspruchsberechtigt sind. Nicht-reflexive Argumente scheinen hingegen von vornherein auszuscheiden, weil sie im Rahmen eines Diskurses erst dann legitimerweise verhandelt werden könnten, wenn der Kreis derjenigen, deren Ansprüche argumentativ vertreten werden müssen, bereits festgelegt ist. Hat also Micha Brumlik nicht doch recht, wenn er von der "Unmöglichkeit, dem Begriff der Menschenwürde einen diskursethischen Sinn zu geben" und von der "Unbegründbarkeit der Menschenwürde aus dem Geist der Diskursethik" (Brumlik 1991, S. 379 und Titel) spricht?

Im letzten thematischen Teil dieses Beitrags (Teil 8) soll versucht werden, dieses vorläufige Fazit zu revidieren und zu zeigen, wie sich vielleicht doch mit nicht-reflexiven Argumenten für eine Inklusion von Lebewesen argumentieren läßt, die weder aktuell noch potentiell argumentationsfähig, aber empfindungs- und leidensfähig und damit fähig sind, subjektiv wahrgenommene Bedürfnisse zu haben. Hierin wären freilich nicht allein Menschen, aber auch alle Menschen eingeschlossen. Zuvor soll jedoch untersucht werden, auf welche Weise begründet werden könnte, daß wir die Bedürfnisse dieser Wesen berücksichtigen sollten, wenn eine Begründung moralischer Achtung ihnen gegenüber scheitern sollte.



Zum AnfangExkurs: Habermas' Versuch der Begründung moralanaloger Verpflichtungen gegenüber nicht-argumentatationsfähigen Wesen

Aufgrund der strikten Definition moralischer Achtung als Berücksichtigung der Bedürfnisse und/oder Interessen eines Wesens um ihrer selbst willen impliziert, wie oben (Teil 5, S. 7) bereits festgestellt, die Feststellung, daß bestimmte Lebewesens keine moralische Achtung verdienen, nicht zwangsläufig, daß man "mit ihnen tun und lassen [könnte], was man will" (Krebs 1995, S. 324). Orientiert man sich an der Kantischen Differenzierung zwischen technischen, pragmatischen und moralischen Imperativen (vgl. Kant 1968, S. 416 f.) bzw. der entsprechenden, nur terminologisch abweichenden Habermasschen Unterscheidung zwischen dem "pragmatischen, ethischen und moralischen Gebrauch der praktischen Vernunft" Habermas 1991, so können neben moralischen sowohl technisch-pragmatische als auch pragmatisch-ethische Gründe eine Berücksichtigung von Bedürfnisse oder Interessen eines Wesens nahelegen. Da es sich nicht um eine Berücksichtigung der Bedürfnisse bzw. Interessen um ihrer selbst handelt, ist sie allerdings nicht Ausdruck moralischer Achtung. Sie kann aber indirekt moralische Bedeutung erlangen.

So kann es 'pragmatische' Gründe dafür geben, bestimmte Ansprüche bestimmter Lebewesen unter rechtlichen Schutz zu stellen, obwohl nicht begründet werden kann, daß diese Wesen selbst moralische Achtung verdienen. Und der Achtung dieser rechtlichen Normen kann wiederum indirekt moralische Bedeutung zukommen.

Zum Beispiel könnte es aus pragmatischen Gründen sinnvoll sein, den Bereich derer, die einen Schutz als gleichberechtigte Rechtssubjekte genießen, so zu bestimmen, daß erstens auf möglichst einfache und eindeutige Weise zu ersehen ist, wer dazugehört und wer nicht, und zweitens jedenfalls kein Wesen ausgeschlossen wird, das aus moralischen Gründen rechtlichen Schutz verdient. Die Frage, ob solche Erwägungen für oder gegen die Orientierung am Hirntodkriterium sprechen würden, ob sie dafür sprechen würden, den rechtlichen Schutz mit der Zellkernverschmelzung, mit der Nidation oder, wie Birnbacher und Hoerster meinen, mit der Geburt einsetzen zu lassen (wenn man die Frage unabhängig von den Potentialitätsargumenten zu klären sucht), kann hier dahingestellt bleiben. Aber wenn solche Überlegungen überhaupt berechtigt wären, dann könnten sie jedenfalls dazu führen, daß Wesen in die rechtliche Schutzgarantie eingeschlossen würden, deren Anspruch auf moralische Achtung sich nicht begründen ließe. Die Einhaltung dieser rechtlichen Schutzgarantie könnte aber, bestimmte Randbedingungen vorausgesetzt, ihrerseits moralisch geboten sein; als moralische Pflicht nicht gegenüber den unmittelbar betroffenen Lebewesen, sondern als moralische Pflicht gegenüber der Rechtsgemeinschaft, soweit sie aus moralisch Anspruchsberechtigten besteht.

Es gibt auch andere Möglichkeiten einer 'indirekten' moralischen Inklusion, die ohne den Umweg über das Rechtssystem auskommen. Bekannt ist Kants Versuch, Verpflichtungen gegenüber nichtmenschlichen Wesen als indirekte Pflichten "des Menschen gegen sich selbst" zu interpretieren: "In Ansehung des lebenden, obgleich vernunftlosen Theils der Geschöpfe" sei "die Pflicht der Enthaltung von gewaltsamer und zugleich grausamer Behandlung der Thiere der Pflicht des Menschen gegen sich selbst [...] entgegengesetzt, weil dadurch das Mitgefühl an ihrem Leiden im Menschen abgestumpft und dadurch eine der Moralität im Verhältnisse zu anderen Menschen sehr diensame natürliche Anlage geschwächt und nach und nach ausgetilgt wird; obgleich ihre behende (ohne Qual verrichtete) Tödtung, oder auch ihre, nur nicht bis über Vermögen angestrengte Arbeit (dergleichen auch wohl Menschen sich gefallen lassen müssen) unter die Befugnisse des Menschen gehören; da hingegen die martervolle physische Versuche zum bloßen Behuf der Speculation, wenn auch ohne sie der Zweck erreicht werden könnte, zu verabscheuen sind. - Selbst Dankbarkeit für lang geleistete Dienste eines alten Pferdes oder Hundes (gleich als ob sie Hausgenossen wären)" gehöre nur "indirect zur Pflicht des Menschen, nämlich in Ansehung dieser Thiere, direct aber betrachtet ist sie immer nur Pflicht des Menschen gegen sich selbst." (Kant 1968, S. 443.) Der Berücksichtigung des Leidens nichtmenschlicher Wesen wird von Kant hier ein sozusagen moralpädagogischer Sinn zugesprochen. Nicht eigentlich die "vernunftslosen [...] Geschöpfe" sind es, denen moralische Achtung zukommt, der Umgang mit ihnen ist vielmehr nur insofern moralisch relevant, als er den Umgang der Menschen untereinander zu beeinflussen vermag.

Obwohl Habermas Kants Vorschlag zur Inklusion von Tieren für unzureichend hält, fallen auch seine eigenen Ausführungen zur Tierethik in den Bereich 'indirekter', 'pragmatisch-ethischer' Argumentationen. Die knappen Überlegungen in den 'Erläuterungen zur Diskursethik' sind vermutlich die bekanntesten der insgesamt spärlichen Passagen, in denen sich Diskursethiker mit der Problematik auseinandergesetzt haben, und sollen deshalb etwas ausführlicher diskutiert werden.

Zunächst fällt auf, daß Habermas die Diskursethik umstandslos als 'anthropozentrische' Ethik einführt, also das Problem der moralischen Inklusion nicht-argumentationsfähiger Menschen nicht thematisiert. Nur in einem knappen Hinweis wird deutlich, daß Habermas dieses Problem vermutlich durch eine Art von Potentialitätsargumentation gelöst wissen möchte (vgl. Habermas 1991, S. 219). Wir hatten allerdings gesehen, daß Potentialitätsargumente allein die Inklusion aller Menschen in den Kreis der moralischen Anspruchssubjekte nicht hinreichend zu rechtfertigen vermögen, weil sich auf 'Potentialität zweiter Stufe' kein strikt reflexiver Geltungserweis gründen läßt.

Habermas exponiert zunächst einen Widerspruch zwischen der Grundintuition anthropozentrischer Ethik und tief verwurzelten moralischen Alltagsintuitionen. Er verweist darauf, daß moralische Verpflichtungen innerhalb des Bereichs sozialer Interaktionen zwischen moralischen Akteuren angesiedelt sind, und daß "das Gefühl der Pflicht in jenen fundamentalen Anerkennungsverhältnissen seine Basis hat, die wir im kommunikativen Handeln immer schon voraussetzen". Daher sei nicht zu erwarten, daß Wesen, die "»nicht mit uns in eine Beziehung prinzipieller Gegenseitigkeit eintreten [können], wie sie unser Verhalten zu Menschen bestimmt«" (Habermas 1991, S. 223), der Status moralischer Anspruchssubjekte zugesprochen werden kann. "Andererseits", sprechen Habermas zufolge jedoch "unsere moralischen Intuitionen eine unmißverständliche Sprache. Wir spüren untrüglich, daß die Vermeidung von Grausamkeit gegenüber allen leidensfähigen Kreaturen nicht nur aus Klugheitsgründen, und auch nicht nur um unseres guten Lebens willen, sondern moralisch geboten ist. Wir können uns die Sache auch nicht mit Kant so zurechtlegen, daß wir zwar Pflichten in bezug auf, aber nicht gegenüber Tieren haben. Die Tiere treten uns als versehrbare Kreaturen entgegen, die wir in ihrer physischen Integrität um ihrer selbst willen schonen müssen" (Habermas 1991, S. 220).

Habermas skizziert nun zunächst Günther Patzigs Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen und zitiert: "»Unsere Theorie einer Vernunftmoral erklärt die Norm, unnötiges Leiden von Tieren zu vermeiden, auf andere Weise: Jeder von uns weiß, was Leiden uns Schmerzen sind, und erwartet von allen Menschen, daß sie sein lebhaftes Interesse, sie möglichst zu vermeiden, achten. Nun wäre es aber nicht vernünftig, einen radikalen Unterschied zwischen Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen zu machen, solange diese sich so verhalten, daß wir annehmen müssen, auch sie könnten Leid und Schmerz empfinden. So erweitert sich das Verbot willkürlicher Schmerzzufügung und brutaler Vernachlässigung über den Bereich der Menschen hinaus auf das Gebiet nicht-menschlicher Lebewesen«" (Patzig 1984, S. 73, zitiert nach Habermas 1991, S. 222).

"Bedauerlicherweise", kommentiert Habermas, "verdeckt das »So« ein Non-sequitur; aus dem Prinzip der Verallgemeinerung folgt nämlich nicht, daß ich die Norm, anderen keinen Schmerz zuzufügen, auf alle schmerzempfindlichen Kreaturen ausdehnen soll, solange dieses Prinzip nur die gleichmäßige Berücksichtigung der Interessen all derer verlangt, von denen wir unterstellen dürfen, daß jeder von ihnen die Perspektive aller anderen einzunehmen fähig ist." (Habermas 1991, S. 222)

Habermas fährt nun so fort, daß er zunächst die oben als "untrüglich" und "unmißverständlich" charakterisierten moralischen Intuitionen zu relativieren sucht, indem er darauf verweist, daß "sich alle Nicht-Vegetarier ohne größere Skrupel von Fleich zu ernähren" (Habermas 1991, S. 222 f.) scheinen. Im Widerspruch unserer Intuitionen, die uns das Quälen von Tieren verbieten, deren Tötung jedoch erlauben, erblickt Habermas nun gar ein "Paradox" (Habermas 1991, S. 223). Um dieses Paradox "einer Lösung wenigstens näher [zu] bringen" entwickelt Habermas jene Überlegungen, die den Kern seiner tierethischen Argumentation darstellen.

Zunächst entfaltet er nochmals den kommunikationstheoretischen und insofern (vermeintlich) anthropozentrischen Moralbegriff, den die Diskursethik vorsieht. Sodann stellt er fest, daß im Verhältnis zwischen Mensch und Tier zwar keine Kommunikation strictu sensu möglich ist, aber doch ein "Kontakt, der, weil er von der Art einer intersubjektiven Beziehung ist, über einseitige oder wechselseitige Beobachtung hinausreicht." (Habermas 1991, S. 224) Daß hierin der Grund für unser Gefühl moralischer Verantwortung für Tiere liegt, sieht Habermas auch durch folgende Beobachtung Patzigs bestätigt: "»Gegenüber Tierarten, mit denen wir besonders leicht kommunizieren können« schlägt unser Gewissen besonders deutlich." (ebd., Unterzitat aus Patzig 1986, S. 77) Auch unsere Verpflichtungen (und Verpflichtungsgefühle) gegenüber Tieren beruhen also Habermas zufolge auf kommunikativen bzw. quasi-kommunikativen Interaktionen: "Eine moralanaloge Verantwortung besteht gegenüber Tieren, die uns in der (wenn auch nicht vollständig ausgefüllten) Rolle einer zweiten Person entgegentreten." (Habermas 1991, S. 224)

Mit diesen Überlegungen wäre freilich nur eine Seite des "Paradox" unserer Intuitionen geklärt, die Frage nämlich, wieso wir uns Tieren gegenüber zu Schutz, Schonung und Rücksichtnahme genötigt fühlen. Die andere Frage aber - warum wir gleichwohl die schmerzlose Tötung von Tieren zu Nahrungszwecken und sogar qualvolle medizinische Tierversuche hinzunehmen oder wenigstens zu diskutieren bereit sind - bleibt zunächst offen.

Habermas beantwortet diese Frage durch den Hinweis darauf, daß wir Tieren gegenüber zwar in eine Art quasi-kommunikativer Interaktionen eintreten können, aber nicht verpflichtet sind, dies zu tun. Wir können, so scheint Habermas anzunehmen, aus dem 'Als-Ob' unserer quasi-kommunikativen Interaktion mit Tieren gewissermaßen aus- und in ein gänzlich anderes Verhältnis ihnen gegenüber eintreten, indem wir sie als Angehörige einer fremden Art betrachten, die innerhalb 'unserer' Lebensform keinen Platz hat: "Die Grenzen unserer moralanalogen Verantwortung gegenüber Tieren sind erreicht, sobald Menschen in ihrer Rolle als Angehörige einer Spezies Tieren als Exemplaren einer anderen Spezies gegenübertreten." Habermas fährt fort: "In welchen Situationen uns das erlaubt ist, stellt allerdings wieder eine heikle moralische Frage dar. Ich will nicht apriori ausschließen, daß bestimmte Vegetarier heute schon eine moralische Sensibilität zur Geltung bringen, die sich unter entlasteten sozialen Bedingungen allgemein als die richtige moralische Intuition erweisen könnte. Dann würden Tiere in allen Situationen als mögliche Interaktionsteilnehmer anerkannt; und die Schonung, zu der wir uns in der Interaktion verpflichtet fühlen, erstreckte sich auch auf deren Existenz" (Habermas 1991, S. 225).

Habermas' Ausführungen zum Problem der Tierethik lassen sich in zwei Punkten zusammenfassen: Erstens sieht er auch in bezug auf Fragen der Tierethik die diskursethische Grundintuition bestätigt, daß sich das Phänomen moralischer Verpflichtungen (und Verpflichtungsgefühle) stets auf ein kommunikatives - oder quasi-kommunikatives - Interaktionsverhältnis zwischen moralischen Anspruchssubjekten zurückführen läßt. Zweitens stellt er fest, daß ein quasi-kommunikatives Verhältnis auch gegenüber nicht-diskursfähigen Wesen zwar möglich, aber nicht moralisch geboten ist, in dieses Verhältnis einzutreten.

Für die Begründung 'echter' moralischer Pflichten gegenüber Tieren ergibt sich hieraus folgendes Fazit: Verpflichtungen gegenüber nicht-diskursfähigen Wesen existieren nur sofern und soweit wir uns freiwillig dazu bereit finden, mit ihnen in ein quasi-kommunikatives Verhältnis einzutreten. Da wir hierzu jedoch nicht wiederum verpflichtet sind, kann es sich bei jenen Verpflichtungen nicht um moralische Verpflichtungen handeln. Offensichtlich kommt ihnen vielmehr der Charakter hypothetischer Imperative zu: "Wenn Du mit Tieren in ein quasi-kommunikatives Verhältnis eintrittst (was zu tun oder zu lassen Dir freisteht), dann hast Du ihnen gegenüber gewisse Verpflichtungen".

Habermas' Ausführungen führen demnach zu einer Angleichung der Verpflichtungen gegenüber Tieren an 'pragmatische' (i. S. Kants) bzw. 'ethische' (i. S. von Habermas) Selbstbindungen: "Ich erkenne Tiere als Quasi-Kommunikationspartner an, weil ich so, d. h. in einer Art Vergemeinschaftung auch mit nichtmenschlichen Lebewesen, leben will". Als Begründung moralischer Verpflichtungen gegenüber nicht-argumentationsfähigen Wesen kann Habermas' Argumentation nicht verstanden werden.



Zum AnfangEin nicht-reflexives Argument für die Inklusion nicht-argumentationsfähiger Wesen

Trotz der in Teil 6 angestellten Überlegungen soll im folgenden versucht werden, ein nicht-reflexives Argument für die Inklusion nicht-argumentationsfähiger Wesen zu skizzieren. Dieses Argument besteht aus zwei Schritten. In einem ersten Schritt soll gezeigt werden, daß argumentationsfähige Wesen ein Interesse daran haben, auch noch dann moralisch geachtet zu werden, wenn sie nicht mehr argumentationsfähig sind. In einem zweiten Schritt soll gezeigt werden, daß jenes Interesse nicht als rationales Eigeninteresse, sondern vielmehr als ein moralisches Vernunftinteresse an der moralischen Achtung empfindungs- und leidensfähiger Wesen überhaupt interpretiert werden muß. Ich bin mir keineswegs sicher, ob dieses Argument wirklich stichhaltig ist, möchte es aber dennoch, so klar es mir möglich ist, zur Diskussion stellen.

Was nicht-reflexive Inklusionsargumente so wenig aussichtsreich erscheinen ließ, war folgendes Dilemma: Einerseits schien es unmöglich, einen 'Inklusionsanspruch' von Wesen, denen nicht schon der Status moralischer Anspruchssubjekte zukommt, überhaupt in einen praktischen Diskurs einzubringen. Andererseits schien auch die Möglichkeit auszuscheiden, daß die moralische Inklusion nicht-diskursfähiger Wesen das Resultat einer diskursiven Prüfung der Interessen der bereits als anspruchsberechtigt anerkannten Wesen sein könnte, da dies gegen den spezifischen Sinn moralischer Achtung als einer Berücksichtigung von Bedürfnissen bzw. Interessen um ihrer selbst willen zu verstoßen schien.

Nun könnte man jedoch, anknüpfend an die oben angeführten Überlegungen Dietrich Böhlers, auf die Tatsache verweisen, daß nicht nur manche nicht-argumentationsfähigen Wesen potentiell argumentationsfähig sind, sondern daß zudem alle argumentationsfähigen Wesen potentiell nicht-argumentationsfähige Wesen sind. Sie alle können durch Unfall, Krankheit oder 'normale' Alterungsprozesse in die Lage kommen, zwar weiter zu leben, leidens- und empfindungsfähig zu sein und eigene Bedürfnisse zu haben, gleichzeitig aber mehr oder weniger unfähig zu sein, diese Bedürfnisse selbst in Interessen zu transformieren oder gar in Form propositional differenzierter Ansprüche in einen moralisch-praktischen Diskurs einzubringen.

Es scheint also naheliegend, Gedankenexperimente über argumentative Diskurse anzustellen, deren Teilnehmer sich fragen, wie in dem Fall verfahren werden sollte, daß sie einen der von Böhler erwähnten Schicksalsschläge erleiden würden. Und vieles spricht dafür, daß sich die Teilnehmer an einem praktischen Diskurs über die Frage, welchen moralischen Status sie genießen sollen, falls sie, aus welchem Grund auch immer, in einen Zustand geraten sollten, in dem sie nicht mehr argumentationsfähig, aber noch leidens- und empfindungsfähig und damit fähig sind, Bedürfnisse zu haben, darauf einigen würden, daß sie auch dann als moralische Anspruchssubjekte geachtet werden sollten. Aus der Sicht von vernünftigen Argumentationsteilnehmern, die, wie wir unterstellen dürfen, ein Interesse auch an ihrem zukünftigen Wohlergehen haben, scheint dies die einzig akzeptable Regelung zu sein.

Man könnte gegen die zuletzt gemachte Akzeptabilitätsunterstellung freilich einzuwenden suchen, sie sei, ebenso wie Hobbes' und auch noch Rawls' Kontraktualismus, von der willkürlichen Unterstellung einer 'risikoaversiven' Grundeinstellung der Diskursbeteiligten abhängig. Es ist jedoch leicht zu sehen, daß dieser Einwand im Rahmen einer ethischen Konzeption, welche die Gültigkeit moralischer Normen nicht von ihrer 'monologischen' Akzeptabilität für egoistisch-zweckrationale Vorteilsmaximierer, sondern von ihrer 'dialogischen' Akzeptabilität für die kommunikativ vergemeinschafteten Teilnehmer eines am Prinzip universeller Zustimmungsfähigkeit orientierten Rechtfertigungsdiskurses abhängig macht, seine Schärfe weitgehend verlieren muß: Selbst wenn man mit der Möglichkeit besonders 'risikofreudiger' Teilnehmer rechnet, die 'für sich selbst' bereit wären, sich einer Inklusionsregelung zu unterwerfen, die für sie mit dem Risiko des vollständigen Verlusts moralischer Anspruchsrechte verbunden ist, so bleiben doch auch diese Teilnehmer dem diskursiven Zwang ausgesetzt, gemeinsam eine Lösung zu finden, die aus der Perspektive aller potentiell Betroffenen akzeptabel ist. Die Regelung, daß (zumindest) allen ehemals Argumentationsfähigen der gleiche moralische Status zugesprochen werden solle wie den aktuell Argumentationsfähigen, hat hier offenbar bedeutend größere Konsenschancen.

Wenn diese Regelung jedoch akzeptiert wäre, würde sich ein schwieriges Folgeproblem ergeben: Die Diskursteilnehmer sehen sich dann (zum Zeitpunkt t1) der Frage ausgesetzt, ob zwischen dem nicht mehr argumentations-, aber empfindungsfähigen und bedürftigen Wesen, das sie selbst eines Tages (zu einem späteren Zeitpunkt t2) sein könnten (A), und einem anderen Wesen, das niemals argumentationsfähig war oder sein wird, aber (zum Zeitpunkt t2) in vergleichbarer Weise empfindungsfähig und bedürftig ist (B), ein moralisch relevanter Unterschied besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen würde.

Unterstellen wir - 'for the sake of the argument' -, daß die Situation von A und B tatsächlich in allen übrigen moralisch relevanten Hinsichten vergleichbar wäre (zumal der Empfindungsfähigkeit und der Fähigkeit, Bedürfnisse zu haben), so daß der einzige potentiell moralisch relevante Unterschied in der Argumentationsfähigkeit läge, die A zum Zeitpunkt t1 zukam, B jedoch nicht.

Durch diese Annahme abstrahieren wir von denjenigen mehr oder weniger empirischen Fragen, die sich auf die Vergleichbarkeit der Empfindungs- bzw. Leidensfähigkeit von Menschen und nicht-menschlichen Lebewesen beziehen. Wir verlieren dadurch zwar die Möglichkeit, unmittelbar eine definitive Antwort z. B. auf die Frage zu finden, ob Menschenaffen, Delphine oder Zuchtschweine als moralische Anspruchssubjekte anerkannt werden sollten. Wir erhalten uns aber die Möglichkeit, eine bedingte Präskription etwa folgender Art zu begründen: "Wenn der Zustand eines zu keinem Zeitpunkt diskursfähigen Wesens B im Hinblick auf Empfindungs- und Leidensfähigkeit (und evtl. weitere moralisch relevante Eigenschaften) mit dem Zustand eines ehemals diskursfähigen Wesens A vergleichbar ist, dann sollte auch B als moralisches Anspruchssubjekt anerkannt werden!" Die Begründung etwaiger Vordersätze der Art "Der Zustand von B ist in allen moralisch relevanten Hinsichten mit dem von A vergleichbar", die eine praktisch brauchbare Conclusio ermöglichen würden, könnte dann an interdisziplinäre Diskurse delegiert werden, in denen zum einen die normativ-ethische Frage nach den moralisch relevanten Vergleichshinsichten genauer geklärt und begründet werden (z. B.: "Was heißt Leidens- und Empfindungsfähigkeit?", "Welche Hinsichten kommen unter Umständen noch in Frage?"), zum anderen, auf der hierdurch gewonnenen Grundlage, die hermeneutisch-empirische Frage der Vergleichbarkeit des Zustandes von B und A selbst geklärt werden müßte, wobei vermutlich der Fachkompetenz etwa der vergleichenden Verhaltensforschung und der Psychologie eine besondere Bedeutung zukäme.

Untersuchen wir also, ob die frühere Argumentationsfähigkeit (zum Zeitpunkt t1) eine unterschiedliche Behandlung von A und B (zum Zeitpunkt t2) moralisch rechtfertigen kann. Was spricht für, was gegen diese Annahme?

Zunächst ist folgendes festzuhalten: Wenn die Diskursteilnehmer einen universalistischen moralischen Standpunkt einnehmen - und nicht in eine strategisch-egoistische Perspektive zurückfallen, die sie als kommunikativ eingestellte Argumentationspartner hinter sich gelassen haben müssen - dann kann ein moralisch relevanter Unterschied jedenfalls nicht allein darin bestehen, daß sie (als einzelne Individuen) sich selbst zwar in der Situation von A, aber nicht in der Situation von B wiederfinden könnten.

Damit ist allerdings, wie es scheint, noch nicht gesagt, daß auch die Tatsache, daß sich kein argumentationsfähiges Wesen jemals in der Situation von B wiederfinden könnte, nicht einen Unterschied ausmachen könnte; dies war ja der Kern des Einwandes von Habermas gegen Patzig. Die Frage, wie weit sich eine Pflicht zur 'Universalisierung' (hier verstanden im Sinne einer im advokatorischen Diskurs zu operationalisierenden Rollenübernahme) erstreckt, soll ja eben gerade erst beantwortet werden. Eine vollständige Antwort auf diese Frage ist also nicht schon vorauszusetzen. Vorausgesetzt werden darf lediglich, daß sich eine entsprechende Rollenübernahme zumindest auch auf die aktuell Argumentationsfähigen (sowie, nach Maßgabe der Überzeugungskraft der hierfür oben angeführten Argumente, auch auf die potentiell Diskursfähigen) erstrecken muß.

Prima facie scheint für eine moralische Gleichbehandlung von A und B zu sprechen, daß der aktuelle Zustand von A und B zum Zeitpunkt t2, d. h. demjenigen Zeitpunkt, auf den sich die fragliche Inklusionsregelung beziehen soll, gemäß der oben gemachten Annahme in allen moralisch relevanten Hinsichten vergleichbar ist. Wenn nicht gegen das semantische Universalisierbarkeitspostulat verstoßen werden soll, dem zufolge gleiche Fälle gleich behandelt werden müssen, muß gezeigt werden, daß ein früherer (zum Zeitpunkt t1 gegebener) Unterschied zwischen (der Situation von) A und B für eine zu einem späteren Zeitpunkt (t2) notwendige Entscheidung relevant sein kann.

Ist dies überhaupt denkbar? Kann ein zum früheren Zeitpunkt gegebener Unterschied für die moralische Beurteilung einer späteren Situation, in welcher der Unterschied nicht mehr gegeben ist, relevant sein? Die Antwort auf diese Frage hängt offenbar vom normativ-ethischen Rahmen ab, in dem sie beantwortet werden soll. Im Rahmen teleologischer Ethiken mag eine bejahende Antwort auf diese Frage schwierig sein, so lange man auf pragmatische Zusatzüberlegungen verzichtet. Bei der Diskursethik handelt es sich indes um eine deontologische Variante normativer Ethik. Im Rahmen deontologischer Ethiken gibt es für die Relevanz früherer Ereignisse für die Beurteilung späterer Situationen ein paradigmatisches Beispiel: das des Versprechens bzw. des Vertrags. Wenn ich zum Zeitpunkt t1 mit X einen Vertrag geschlossen hätte, mit Y jedoch nicht, dann können daraus exklusive Verpflichtungen gegenüber X erwachsen, die sich auch auf einen späteren Zeitpunkt t2 erstrecken, ganz unabhängig davon, wie ähnlich die Situation von X und die von Y in allen übrigen Hinsichten sein mag.

Es liegt nahe, das Problem der Inklusion von A und B in den Kreis der moralischen Anspruchssubjekte nach dem gleichen Muster zu deuten. Zwar ist zwischen A und 'uns', den moralischen Co-Subjekten, zum Zeitpunkt t1 vermutlich kein expliziter Vertrag bezüglich der wechselseitigen Anerkennung als moralische Anspruchssubjekte zum Zeitpunkt t2 geschlossen worden. Zwischen A und 'uns' bestand jedoch nach transzendentalpragmatischer Auffassung zum Zeitpunkt t1 unbezweifelbar ein moralisches Anerkennungsverhältnis, das durch die Diskursfähigkeit von A, seine Eigenschaft als potentieller Diskurspartner, konstituiert wurde. Und wir dürfen, wenn die oben angestellten Überlegungen stichhaltig sind, jedenfalls annehmen, daß eine Regelung, welche die moralische Inklusion von A zum Zeitpunkt t2 vorsehen würde, einen argumentativen Konsens unter Einbeziehung aller (potentiell) Betroffenen finden würde. Wir können - und müssen! - also von einer Art fiktivem Vertrag ausgehen, der die Inklusion von A zum Zeitpunkt t2 (und aller anderen ehemals, aber nicht mehr aktuell diskursfähigen Wesen) beinhaltet. Ebenso wie die Verbindlichkeiten eines Vertrages, die gegenüber X zum Zeitpunkt t2 gegeben sind, aus dem Vertrag selbst resultieren, der zum Zeiptunkt t1 geschlossen wurde, würde dann die Pflicht zur moralischen Anerkennung von A zum Zeitpunkt t2 aus der (hypothetisch-gedankenexperimentellen) Übereinkunft resultieren, die wir zum Zeitpunkt t1 mit A bezüglich seines moralischen Status für den Fall des Verlustes seiner Diskursfähigkeit hätten treffen müssen, wenn diese Frage zwischen uns erörtert worden wäre.

Dieser Deutung zufolge sind für die Inklusion von A zum Zeitpunkt t2 nicht so sehr die aktuellen Bedürfnisse von A relevant, als vielmehr das prospektive (wohlverstandene Eigen-) Interesse an der Berücksichtigung der Bedürfnisse zum Zeitpunkt t2, das A zum Zeitpunkt t1 vermutlich hatte oder vernünftigerweise gehabt hätte. Dieses Interesse ist es eigentlich, das um seiner selbst willen berücksichtigt werden muß, wenn und sofern es in einem (realen oder fiktiven) Diskurs unter Gleichen als verallgemeinerbar ausgezeichnet werden kann. Erst indirekt ergibt sich daraus eine Verpflichtung der nicht-instrumentellen Berücksichtigung der Bedürfnisse von A zum Zeitpunkt t2.

Dieser Deutung zufolge liegt (auch noch) dem einseitigen moralischen Anerkennungsverhältnis zwischen 'uns' und A zum Zeitpunkt t2 eine Reziprozität von Rechten und Pflichten zugrunde: Nur deshalb und insoweit sind wir verpflichtet, A (zum Zeitpunkt t2) moralisch zu achten, weil und sofern auch A verpflichtet gewesen wäre, unsere Bedürfnisse um ihrer selbst willen zu berücksichtigen, wenn zum Zeitpunkt t2 'wir' in der Situation von A gewesen wären.

Auf den ersten Blick scheint diese Deutung bestechend. Dennoch bringt sie ernste Probleme mit sich. Die erste Schwierigkeit liegt darin, daß die Verbindlichkeit von Vertragsverhältnissen - nach transzendentalpragmatischer Auffassung - immer schon einen moralischen Bezugsrahmen voraussetzt, daß Verträge sozusagen Transaktionen innerhalb eines vorab konstituierten moralischen Raumes darstellen (vgl. exemplarisch auch zum folgenden: Apel 1976, S. 69 ff.). Nun ist im vorliegenden Fall aber gerade unklar, wie weit sich dieser Raum erstreckt - vor allem, ob sich A auch noch zum Zeitpunkt t2 darin aufhält. Insofern scheint es problematisch, die Frage der Anerkennung als moralisches Anspruchssubjekt überhaupt von einer Art Vertrag abhängig zu machen.

Dieses Problem läßt sich durch folgende Überlegung verdeutlichen: Stellen wir uns vor, daß die Bedürfnisse von A zum Zeitpunkt t2 in einer Weise ignoriert werden, die wir als Verletzung berechtigter moralischer Ansprüche ansehen würden, falls A aktuell als moralisches Anspruchssubjekt angesehen werden müßte. Nach der oben gegebenen Deutung wäre nicht eigentlich der aktuelle A, sondern der A zum Zeitpunkt t1 der Geschädigte. Wenn aber noch gar nicht klar ist, daß der moralische Status, den A zu t1 genießt, ihm auch noch zu t2 zukommt, dann könnte man auch sagen, es gebe keinen Geschädigten: Derjenige, dessen Interessen moralisch zu beachten sind, wäre ja eben nicht mehr existent. Wenn nicht schon ausgemacht ist, daß die 'normative Identität' von A als eines moralischen Anspruchssubjekts auch noch bis zu dem Zeitpunkt t2 verlängert werden muß, dann läßt sich argumentieren, das zum Zeitpunkt t1 vorliegende Interesse von A daran, auch zum Zeitpunkt t2 noch als moralisches Anspruchssubjekt geachtet zu werden, sei mit Eintreten des Zeitpunkts t2 gerade erloschen. (Auch im Rechtssystem können z. B. Pflichten gegenüber Toten nur deshalb konstruiert werden, weil Bürger ihren Status als Rechtsperson mit Eintritt des Todes gerade nicht vollständig verlieren.) Wenn noch gar nicht ausgemacht ist, daß A zum Zeitpunkt t2 überhaupt den Status eines moralischen Anspruchssubjekts genießt, so kann dieser Status, wie es scheint, auch nicht durch eine quasi-vertragliche Verpflichtung begründet werden.

Man kann hiergegen natürlich einwenden, daß es im vernünftigen Interesse aller liege, daß die vorgeschlagene Inklusionsregelung, von der A zum Zeitpunkt t2 hätte profitieren sollen, auch eingehalten werde. Nicht A, sondern die Gemeinschaft der jetzt Diskursfähigen wäre also 'eigentlich' geschädigt. So formuliert, führt der Einwand aber in verschiedene Probleme, die aus der Diskussion des Kontraktualismus weidlich bekannt sind und hier nicht weiter diskutiert werden können.

Im Kern scheint die Schwierigkeit der vorgeschlagenen Deutung darin zu liegen, daß die diskursethische Begründungsstruktur partiell durch eine vertragstheoretische Interpretation des Verhältnisses moralischer Anerkennung ersetzt wird. Es ist zweifelhaft, ob es auf der Grundlage dieser Deutung überhaupt möglich ist, den Sinn moralischer Achtung gegenüber einem nicht-diskursfähigen Wesen zu rekonstruieren. Moralische Achtung sollte ja, gemäß der oben gegebenen Erläuterung, als die Berücksichtigung von Bedürfnissen und Interessen um ihrer selbst willen verstanden werden. Bedürfnisse und Interessen moralischer Anspruchssubjekte sollen der diskursethischen Deutung zufolge sozusagen in ähnlicher Weise beachtet werden wie Argumente in einem Diskurs: nicht-instrumentell, nur auf der Grundlage ihres eigenen Gewichts. Die 'vertragstheoretische' Deutung unseres Gedankenexperiments würde aber bedeuten, daß die Bedürfnisse eines nicht mehr diskursfähigen Wesens gerade nicht 'um ihrer selbst willen', sondern um externer Interessen willen berücksichtigt würden - letztlich um der wohlverstandenen Eigeninteressen anderer willen. Bei dem Verhältnis zwischen 'uns' und A zum Zeitpunkt t2 würde es sich daher nicht um ein moralisches Anerkennungsverhältnis, sondern um eine instrumentelle Beziehung handeln. Der Grund, aus dem 'wir' das prospektive Inklusionsinteresse von A zum Zeitpunkt t1 anerkennen, ist letztlich die Tatsache, daß auch wir ein solches Interesse haben, das wir berücksichtigt sehen möchten. Damit ist er ein anderer Grund als derjenige, aus dem wir selbst meinen, daß unsere Bedürfnisse berücksichtigt werden sollten, falls wir einmal nicht mehr diskursfähig sein sollten.

Es liegt insofern eine eingeschränkte Reziprozität vor: 'Wir' unternehmen zum Zeitpunkt t1 einerseits sozusagen einen Rollentausch 'mit uns selbst', d. h. mit denjenigen Wesen, die wir zum Zeitpunkt t2 sein werden, und fragen uns, ob wir auch dann noch als moralische Anspruchssubjekte anerkannt werden wollen. Was für uns zählt, ist die Vermutung, daß wir auch im Falle des Verlustes der Diskursfähigkeit zum Zeitpunkt t2 noch 'dieselben', daß wir - trotz des Verlustes sprachlicher Selbstidentifikation - immer noch in einem relevanten Sinne 'wir' sind und daß wir auch in diesem Zustand noch in irgend einer Weise nicht 'wollen' werden, daß unsere Bedürfnisse unbeachtet bleiben und unser Leiden keine Rolle spielt. Für uns erheben wir also durchaus den Anspruch, daß unsere Bedürfnisse zum Zeitpunkt t2 um ihrer selbst willen berücksichtigt werden - und nicht nur deshalb, weil wir 'jetzt', zum Zeitpunkt t1, ein Interesse daran haben. Andererseits nehmen wir im Diskurs zum Zeitpunkt t1 einen Rollentausch mit den anderen Diskursteilnehmern vor; dieser hat aber der vertragstheoretischen Deutung dieses Diskurses zufolge einen anderen Charakter: Er bezieht sich nämlich nicht auf die potentiellen Bedürfnisse 'der anderen' zum Zeitpunkt t2, falls diese dann nicht mehr diskursfähig sind, sondern nur auf ihre 'jetzt', zum Zeitpunkt t1 gegebenen Interessen (die ihrerseits vernünftig i. S. eines wohlverstandenen Eigeninteresses sind). Die Verbindlichkeit einer auf diesen Rollentausch gegründeten Verpflichtung scheint mit dem Erlöschen der zu berücksichtigenden (prospektiven) Interessen offenbar ebenfalls zu erlöschen. Die vertragstheoretische Deutung des Gedankenexperiments kann demnach nicht begründen, daß wir Wesen, die nicht mehr diskursfähig sind, moralische Achtung schulden, wenn moralische Achtung die Pflicht zur Berücksichtigung von Bedürfnissen und Interessen um ihrer selbst willen bedeutet.

Es liegt daher nahe, es mit einer anderen Deutung des gedankenexperimentellen Diskurses zum Zeitpunkt t1 zu versuchen. Dieser Deutung zufolge beanspruchen die Diskursteilnehmer für sich selbst moralische Achtung auch für den Fall des Verlusts der Diskursunfähigkeit und sind deshalb auch bereit, (zumindest auch) anderen ehemals diskursfähigen Wesen, sofern sie noch empfindungsfähig sind, moralische Achtung entgegenzubringen. Sie sind bereit, A auch zum Zeitpunkt t2 moralisch zu achten und das heißt: Die Bedürfnisse, die A zu diesem Zeitpunkt hat, um ihrer selbst willen zu achten. In dieser Deutung ist also nicht (nur) das prospektive Interesse von A zum Zeitpunkt t1 für den Umgang mit A zum Zeitpunkt t2 ausschlaggebend; es sind die Bedürfnisse zum Zeitpunkt t2 selbst, auf die es ankommt. Die Rollenübernahme, welche die Teilnehmer an unserem gedankenexperimentellen Diskurs vollziehen, ist in dieser Deutung strikt nicht-instrumentellen Charakters: So wie wir für unsere eigenen zukünftigen Bedürfnisse für den Fall, daß wir die Diskursfähigkeit verlieren sollten, Sorge tragen, so tun wir dies auch für die Bedürfnisse anderer nicht (mehr) diskursfähiger Wesen - unabhängig davon, ob wir uns durch die Sorge für die Bedürfnisse anderer Vorteile versprechen dürfen oder nicht.

Wenn nun diese Deutung haltbar wäre, spräche dies dafür, daß nicht nur A, sondern auch B moralische Achtung entgegenzubringen ist. Denn wenn es wirklich die Bedürfnisse von A zum Zeitpunkt t2 sind, die um ihrer selbst willen Berücksichtigung verdienen, dann ist nicht einzusehen, warum nicht auch die Bedürfnisse von B berücksichtigt werden müssen. Die Tatsache, daß A uns gegenüber Pflichten gehabt hätte, falls wir statt seiner die Diskursfähigkeit verloren hätten, ist ja in dieser Deutung nicht der Grund für die Pflicht, A moralisch zu achten. Die Bedürfnisse eines nicht mehr diskursfähigen, aber leidens- und empfindungsfähigen Wesens sollen vielmehr um ihrer selbst willen geachtet werden. Diese Bedürfnisse selbst aber unterscheiden sich, gemäß unserer Annahme, nicht in einer moralisch relevanten Hinsicht von denjenigen anderer Wesen, die niemals diskursfähig waren. Auch diese müssen also in einen advokatorischen Diskurs einbezogen werden.

Wenn diese Überlegungen haltbar wären, spräche vieles dafür, alle Lebewesen, die Bedürfnisse haben können und empfindungs- und leidensfähig sind, als moralische Anspruchssubjekte anzuerkennen. Zwar läßt sich nicht strikt dialogreflexiv erweisen, daß wir dies tun müssen. In einem gedankenexperimentell durchgeführten Diskurs erwies sich jedoch zumindest die Inklusion ehemals diskursfähiger Wesen als die für physisch verletztliche Diskursteilnehmer als einzig akzeptable Lösung. Unklar war zunächst, wie dieses Gedankenexperiment gedeutet werden muß. In einer vertragstheoretischen Deutung würde die Akzeptabilität dieser Inklusionslösung aus der Rationalität eines wohlverstandenen Eigeninteresses der Diskursteilnehmer resultieren. Diese Deutung schien aber sowohl die Verbindlichkeit als auch den spezifischen, auf moralische, d. h. nicht-instrumentelle Anerkennung zielenden, Sinn dieser Inklusionslösung zu gefährden. Wenn man die diskursive Zustimmung zu der 'weiten' (d. h. nicht mehr Diskursfähige einbeziehenden) Inklusionslösung jedoch als Einverständnis kommunikativ eingestellter Moralsubjekte deutet, die auf eine Berücksichtigung der Bedürfnisse der nicht mehr Diskursfähigen um ihrer selbst willen gerichtet ist, so muß sie offenbar auch auf diejenigen Lebewesen ausgedehnt werden, die zuvor nicht argumentationsfähig waren, wenn deren Situation in allen anderen moralisch relevanten Eigenschaften vergleichbar ist.

Wie es scheint, wandelt sich im Zusammenhang der hier skizzierten Argumentation der eigentliche Inklusionsdiskurs, der Diskurs über die Frage, wer moralische Achtung verdient, zu einem sozusagen 'höherstufigen' Diskurs über den Moralbegriff, den wir als Wesen, die uns als Diskurspartner in gewisser Weise schon moralisch achten müssen, vernünftig akzeptieren wollen. Der Versuch, das oben skizzierte Dilemma 'nicht-reflexiver' Inklusionsargumente zu umgehen, besteht also vielleicht darin, nicht darüber zu diskutieren, wer ein Recht auf Inklusion in den Bereich einer Moral genießt, deren Begriff schon feststeht, sondern dem internen Zusammenhang zwischen Moralbegriff und Inklusionsfrage dadurch Rechnung zu tragen, daß beide zugleich zum Thema gemacht werden, wobei freilich eine kommunikationsreflexiv rekonstruierbare 'Rahmenethik' schon vorausgesetzt wird.

Ich bin mir, wie gesagt, nicht sicher, ob diese Argumentation schlüssig ist. Wenn sie es wäre, blieben gleichwohl vielfältige Folgeprobleme. So dürfte klar sein, daß mit der moralischen Inklusion aller Bedürfniswesen die internen Differenzierungen wichtiger würden, die innerhalb des Kreises der moralisch Anspruchsberechtigten zwischen denen getroffen werden müssen, die über das Vermögen freier Selbstbestimmung verfügen und also subjektive Interessen entwickeln können, und denen, die nicht über diese Fähigkeit verfügen und also höchstens subjektiv wahrgenommene Bedürfnisse haben. Die Frage der Vergleichbarkeit verschiedener Bedürfnisse und Interessen müßte ebenso behandelt werden wie die Frage, wie bestimmte Ansprüche und Rechte, zum Beispiel das Lebensrecht, normativ rekonstruiert werden müssen. Diese und ähnliche Fragen können hier nicht einmal ansatzweise diskutiert werden.



Zum AnfangZusammenfassung

Die oben angestellten Überlegungen sollten zeigen, daß der oft geäußerte Verdacht, die Diskursethik sei unter den derzeit diskutierten Varianten normativer Ethik ganz besonders ungeeignet, moralischen Problemen gerecht zu werden, die sich auf die Bedürfnisse von Wesen beziehen, die keine Vernunftsubjekte sind, möglicherweise nicht triftig ist. Freilich ist zuzugestehen, daß Ethiken wie der Utilitarismus beispielsweise Fragen der Tierethik mit sehr viel weniger argumentativem Aufwand zu bearbeiten vermögen. Die Eleganz solcher Ethiken ist aber, in aller Regel, lediglich Resultat eines begründungstheoretischen Mankos, nämlich des weitgehenden Verzichts auf Moralbegründung überhaupt zugunsten bloßer Plausibilitätsannahmen. Wer sich gar nicht erst bemüht, die Verbindlichkeit moralischer Verpflichtungen auch gegen hartnäckige Skeptiker zu verteidigen, kann leicht unmittelbar (und insofern 'elegant') zu einfachen und 'plausiblen' Lösungsvorschlägen übergehen (sehen wir für diesmal davon ab, daß utilitaristische Antworten auf Fragen der Tierethik vielleicht ganz plausibel scheinen mögen, die Lösungsvorschläge für moralische Probleme in der sozialen Menschenwelt jedoch sehr viel weniger).

In einem ersten Schritt wurde versucht, die Bedeutung der Inklusionsfrage (Teil 1) und des hierin vorausgesetzten Begriffs moralischer Achtung zu klären. Moralische Achtung wurde dabei als die Berücksichtigung von Bedürfnissen und/oder Interessen um ihrer selbst willen verstanden (Teil 2). In einem dritten Schritt wurden Versuche diskutiert, mit Ungewißheiten hinsichtlich der Inklusionsfrage umzugehen. Ergebnis der Überlegungen war, daß keine Strategie in letzter Hinsicht überzeugen kann (Teil 3). Viertens wurde diskutiert, auf welchem Wege im Rahmen der Diskursethik für die Inklusion nicht diskursfähiger Wesen in den Kreis der moralischen Anspruchssubjekte argumentiert werden könnte. Dabei schienen zwei verschiedene Möglichkeiten offenzustehen (Teil 4). Zunächst wurde erwogen, ob der Geltungsbereich der von der Transzendentalpragmatik in Anspruch genommenen sinnkritisch-dialogreflexiven Begründung moralischer Achtung durch Potentialitätsargumente auf diejenigen ausgedehnt werden kann, die potentiell argumentationsfähig sind. Diese Frage konnte aufgrund der Komplexität der Potentialitätsproblematik nur tentativ beantwortet werden. Als Möglichkeit der Begründung moralischer Achtung gegenüber Wesen, die eines Tages potentiell selbst diskursfähig sein werden, schien die Verbindung von dialogreflexiven mit Potentialitätsargumenten aussichtsreich, als Möglichkeit der Begründung moralischer Achtung gegenüber allen Angehörigen einer ('normalerweise') diskursfähigen biologischen Art (unabhängig von den individuellen Entwicklungsmöglichkeiten) schien sie nicht überzeugend (Teil 5). Sodann wurde die Tauglichkeit 'einfacher', d. h. nicht strikt dialogreflexiver Argumente zur Beantwortung der Inklusionsfrage geprüft. Hierbei entstand zunächst der Eindruck, daß nicht-dialogreflexive Argumente zur Begründung einer Inklusionsregelung prinzipiell ungeeignet sind, weil zu ihrer Prüfung bereits eine Antwort auf die Inklusionsfrage vorausgesetzt werden zu müssen schien (Teil 6). Wäre dieser Eindruck berechtigt, so wäre die nicht-dialogreflexive Begründung moralischer Achtung gegenüber nicht diskursfähigen Wesen unmöglich, nicht hingegen eine schwächere technisch-pragmatische oder evaluativ-pragmatische Argumentation für einen Schutz dieser Wesen. In einem Exkurs wurde gezeigt, daß es sich auch bei Habermas' Ausführungen zur Tierethik letztlich um eine solche evaluativ-pragmatische Argumentation handelt (Teil 7). Schließlich wurde der Versuch unternommen, der vermeintlichen Aporie 'einfacher' Begründungen für die Inklusion nicht diskursfähiger Wesen zu entkommen. Der Vorschlag ging dahin, zunächst bei den Interessen der Diskursteilnehmer anzusetzen und zu zeigen, daß sie vernünftigerweise ein Interesse an einer moralischen Achtung auch der ehemals, aber nicht aktuell diskursfähigen, aktuell aber leidens- und empfindungsfähigen Wesen haben müssen. Daraufhin wurde dargelegt, daß das "vernünftigerweise" nicht im Sinne eines wohlverstandenen Eigeninteresses verstanden werden kann, wenn die Gültigkeit und der Geltungssinn der moralischen Achtung gegenüber den nicht mehr diskursfähigen Wesen nicht gefährdet werden soll. Die alternative Deutung, welche die moralische Achtung nicht mehr diskursfähiger Wesen als Berücksichtigung ihrer aktuellen Interessen um ihrer selbst willen interpretiert, ließ jedoch die Ausdehnung des Kreises der moralischen Anspruchssubjekte auf alle überhaupt leidens- und empfindungsfähigen Bedürfniswesen zwingend erscheinen. Sie alle hätten demgemäß einen Anspruch darauf, daß ihre Interessen und Bedürfnisse gleichermaßen berücksichtigt werden (Teil 8). Sollten die angestellten Überlegungen haltbar sein, wäre für die Beantwortung brisanter Fragen der Medizin- und der Tierethik im Rahmen der transzendentalpragmatischen Moralphilosophie freilich nur ein erster, wenngleich unverzichtbarer Schritt getan.



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Für Anregungen und Kritik danke ich Dietrich Böhler, Gunnar Skirbekk, Horst Gronke, Matthias Kettner, Boris Rähme, Peter Brune und Niels Gottschalk.




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